Mit dem Blick fürs Ganze

Als Küsterin macht Carmen Bartel in der Kirche einen wichtigen Job – Jetzt hört sie auf

24. August 2024

Das Wort Küster leitet sich vom lateinischen „custos“ ab, das ist der Türhüter. Die Aufgaben allerdings sind viel umfassender. Carmen Bartel hat mit dem Küsterdienst eine zutiefst befriedigende Arbeit gefunden, die sie nun aufgibt. Foto: Seipel

„Was, so fromm bist du?“ Das bekommt Carmen Bartel manchmal zur Antwort, wenn sie von ihrer Arbeit als Küsterin erzählt. Sie muss dann meistens lachen. „Klar, bin ich fromm, aber das hat doch nichts mit meinem Job zu tun“, entgegnet sie den Staunenden. Was denen am meisten zu denken gibt, nämlich jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, ist Carmen Bartel ein Bedürfnis. Der christliche Glaube, der sonntägliche Kirchgang gehören zu ihrem Leben. Das wird auch so bleiben, wenn sie jetzt ihre Aufgabe in der evangelischen Kirchengemeinde Düdelsheim abgibt. Am Sonntag, 1. September, wird sie im Gottesdienst um 10 Uhr in den Ruhestand verabschiedet. „Leicht fällt mir das nicht“, sagt Carmen Bartel und hat Tränen im Blick.

 

„Ich liebe diese Kirche. Ich liebe die Ruhe, die mich hier umfängt“, sagt sie. Erst im Frühjahr 2019 hat sie die Arbeit in der Kirchengemeinde aufgenommen. Davor hat sie viele Jahre als Erzieherin in einer Kindertagesstätte gearbeitet. Mit 60 Jahren fühlte sie sich erschöpft und suchte nach etwas Neuem. Die damalige Pfarrerin Christa Schubert-Jung wusste darum und hat die zunächst Zögerliche ermutigt: „Küsterin, das ist was für dich.“ Und dann, erzählt Carmen Bartel, sei alles „ratzfatz“ gegangen. Der Wechsel vom lauten Kita-Alltag in die Stille einer Kirche – es hätte nicht perfekter passen können.

 

Küsterinnen und Küster sorgen dafür, dass - salopp gesagt - der Laden läuft. „Die kleinen Rädchen im großen Räderwerk der Kirche“ hat sie jemand mal genannt. Die Vielfalt dieses Berufs und die Verantwortung, die damit einhergeht, werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Düdelsheimer Pfarrerin Ulrike Wohlfahrt nimmt deshalb das Ausscheiden von Carmen Bartel zum Anlass, für den Beruf zu werben. Denn Nachwuchs ist mancherorts schwer zu finden, und dort, wo dieser Dienst fehlt, „wird es schwierig“.

 

Das Wort Küster leitet sich vom lateinischen „custos“ ab, das ist der Türhüter. Freilich, die Küsterin und der Küster schließen sonntags die Kirchentür auf, sie zünden die Kerzen an und haben Blumen auf den Altar gestellt. Aber das ist nur ein Teil der Aufgaben. Küster sind Allrounder, sie haben das Ganze im Blick: Funktioniert die Heizung? Wer repariert die defekte Tonanlage? Sind noch genug Kerzen da? Welche liturgische Farbe ist am nächsten Sonntag dran? Sind die Liedblätter gedruckt? Es ließe sich noch viel aufzählen.

 

Carmen Bartel ist Hausmeisterin, mäht Rasen, fegt Wege, räumt Schnee. Sie kümmert sich um die Technik und die Reinigung der Kirche und während der Corona-Pandemie achtete sie auf die Einhaltung der häufig wechselnden Hygieneregeln.

 

Manchmal ist sie auch Gästeführerin, wenn Wanderer auf der Bonifatiusroute in die Kirche kommen und nach einer Übernachtungsmöglichkeit oder einem Stempel fragen. Hin und wieder kommt es in der Kirche, die ganzjährig tagsüber geöffnet ist, zu berührenden Begegnungen mit Menschen, die der Küsterin aus ihrem Leben erzählen. „Ich bin hier schon auf viele Schicksale getroffen. Man muss sich auf Menschen einstellen können, schließlich soll sich jeder aufgehoben fühlen.“

 

Dazu kommen die Unwägbarkeiten des Alltags. Carmen Bartel erinnert sich an einen (seltenen freien) Sonntag, als sie mit der Familie gerade aufbrechen wollte zu einer Tauffeier in Frankfurt. Da klingelte das Telefon: „Kannst du mal schnell kommen? Auf dem Friedhof spritzt das Wasser aus einem Rohr.“ Das, sagt sie, gehöre halt auch dazu.

 

Nicht nur in diesem Fall braucht man ein Umfeld, das mitzieht. „Drei Gottesdienste an Heiligabend, da kann man nicht mit einem großen Essen feiern. Als Pfarrerin und Küsterin feiern wir Weihnachten ganz anders“, flicht Pfarrerin Ulrike Wohlfahrt ein. Sie arbeitet seit April 2022 in der Düdelsheimer Gemeinde. Mit Carmen Bartel, die immer ein wenig „over the top“ arbeite, habe es sofort gepasst. „Es ist eine große gedankliche Entlastung, wenn man sich auf jemanden verlassen kann und weiß, dass alles gerichtet und gut vorbereitet ist.“ Außerdem schätzt die Pfarrerin die Kreativität der Küsterin.

 

Die Kirchengemeinde Düdelsheim hat für Carmen Bartel eine Nachfolgerin gefunden. Ein nahtloser Übergang ist gewährleistet. Das ist keineswegs selbstverständlich. Die scheidende Küsterin will der neuen hilfreich zur Seite stehen. „Ich freue mich, wenn ich einspringen kann“, sagt sie. Und sie freut sich, wieder im Kirchenchor zu singen. Das hatte sie während der Pandemie aufgegeben. Nun ist dienstags wieder Singstunde.