„Höchste Zeit, Haltung zu zeigen“

Ausstellung #beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst in Büdingen eröffnet

3. November 2024

Gruppenfoto nach der Eröffnung (v.l.): Pfarrer Dr. Dr. Peter Noss, Beauftragter für den christlich-jüdischen Dialog, Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW, Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, Andreas Henneken, Vorsitzender des Kirchenvorstands Büdingen, Elisabeth Engler-Starck, Referentin für Ökumene des Evangelischen Dekanats Büdinger Land, Katja Euler, Erste Stadträtin Büdingen, Dekanin Birgit Hamrich, Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl (SPD), Pfarrer Dr. Andreas Goetze, Referent für den interreligiösen Dialog mit Schwerpunkt Islam, Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW, Landtagsabgeordneter Patrick Appel (CDU) und stellvertretender Dekan Ulrich Bauersfeld.  Foto: Seipel

Mit einem Gottesdienst und einem Empfang ist am Sonntagvormittag in der Büdinger Marienkirche die Ausstellung #beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst eröffnet worden: 17 Roll-Ups, die mit Blick auf die Feste beider Religionen die Verwurzelung des Christentums im Judentum zeigen. Redner aus Kirche, Jüdischer Gemeinde Bad Nauheim und Politik betonten die Bedeutung dieser Ausstellung, die nicht nur zur positiven Auseinandersetzung mit der Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland anregen will, sondern auch auffordert, sich gegen den erstarkenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu stellen.

 

„In welcher Zeit befinden wir uns?“ Mit einer rhetorischen Frage wandte sich Katja Euler, Erste Stadträtin von Büdingen, an die Gemeinde. Sie hat die Schirmherrschaft über das Veranstaltungsprogramm übernommen. „Die Anderen, das Anderssein“ werde wieder als Bedrohung und nicht als eine Bereicherung wahrgenommen. Sie zitierte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die am 5. November 103 Jahre alt wird und die nicht müde wird zu mahnen: So hat es damals auch angefangen. Es sei, so Katja Euler, „höchste Zeit, Haltung zu zeigen. Noch gilt der Slogan ,Wir sind mehr‘. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es so bleibt“.

 

Den Gottesdienst gestalteten Elisabeth Engler-Starck, Ökumene-Referentin des Evangelischen Dekanats Büdinger Land, und Pfarrer Dr. Dr. Peter Noss, Beauftragter für den christlich-jüdischen Dialog am Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW. Ins Zentrum ihrer Predigt stellten sie einen Bibeltext aus dem 2. Buch Mose (Ex 1, 8-20): Weil der neue König von Ägypten das Erstarken des Volkes Israel fürchtet, befiehlt er den hebräischen Hebammen Schifra und Pua, männliche Neugeborene zu töten. Doch die Hebammen widersetzen sich und lassen die Kinder am Leben.

 

In einem Dialog setzten die Theologen Engler-Starck und Noss sich mit dem Text auseinander, der nichts an Aktualität verloren habe. Die barbarische Aufforderung des Pharaos, Neugeborene zu töten, erinnere ihn an den Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres, an die Morde, Vergewaltigungen und Entführungen, so Noss. Dass die Juden als potenzielle Gefahr gesehen würden, habe im Nationalsozialismus zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung geführt und zeichne Parallelen bis in unsere Zeit.

 

Aber die Bibelstelle vermittle auch viel Hoffnung, sagte Elisabeth Engler-Starck. Israel als das erwählte Volk wachse, trotz aller Unterdrückung durch die Ägypter. Das Widersetzen der beiden Hebammen mache Mut, dass das Nein Einzelner wirkt. „Christen haben die Aufgabe, sich in aller Welt an die Seite der Juden zu stellen“, sagte Peter Noss am Ende der Predigt und forderte dazu auf, sensibel zu sein für Minderheiten und Verfolgte.

 

Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, begrüßte die Initiative zur Ausstellung und dankte, „dass einige in diesem Land noch an unserer Seite stehen“. Er erfahre häufig Antisemitismus, so de Vries. Er führte das unter anderem darauf zurück, dass „viele noch nie jüdischen Menschen begegnet sind“. Er wünsche sich, dass Judentum auch an den Schulen wieder zur Normalität werde. „Alle Religionen sollten gleichberechtigt nebeneinander leben können.“

 

Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl (SPD) sagte in ihrem Grußwort, die Erhaltung der Demokratie sei „die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Wir alle müssen etwas tun gegen Hass, Hetze, Ausgrenzung und Antisemitismus“. Ihr christdemokratischer Kollege Patrick Appel nannte die Ausstellung „einen wichtigen Beitrag, um auf das Gemeinsame von Christen und Juden aufmerksam zu machen“.

 

„Es ist höchste Zeit, unsere Sensibilität immer wieder aufs Neue zu schärfen und miteinander im Gespräch zu bleiben“, sagte Dekanin Birgit Hamrich. Die Ausstellung sei eine Bereicherung für die Kirche, die Stadt und das Dekanat. Sie dankte allen Engagierten rund um das gut zweiwöchige Programm, besonders auch dem Büdinger Pfarrer Andreas Weik, von dem die Initiative ausging. (jub)

 

INFO

Die Ausstellung #beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst wurde im Jahr 2021 anlässlich des Jubiläums 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland entwickelt und war inzwischen an vielen Orten im Land zu sehen. In Büdingen kann sie bis zum 22. November besucht werden. Veranstaltet werden Ausstellung und Begleitprogramm vom Evangelischen Dekanat Büdinger Land, von der Evangelischen Kirchengemeinde Büdingen, dem Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie dem katholischen Pastoralraum Wetterau Ost. Für Gruppen, insbesondere Jugendgruppen, aus Gemeinden und Schulen können bei Elisabeth Engler-Starck (E-Mail elisabeth.engler-starck@ekhn.de, Telefon 0151/22659911) Führungen/Workshops zur Ausstellung angefragt werden. Das Projekt wird im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Darüber hinaus erfolgt eine Förderung durch das Landesprogramm „Hessen – Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“.  (jub)

 

Hier geht's zum Begleitprogramm 

Die Ausstellung zeigt mit Blick auf die Feste beider Religionen die Verwurzelung des Christentums im Judentum. Foto: Seipel