In die Stille kommen

Einmal monatlich findet in der Lindheimer Kirche ein besonderer Gottesdienst statt

23. Juli 2024

Idyllisch und ein wenig versteckt gelegen: die evangelische Kirche in Lindheim. Foto: Seipel

Schon der Fußweg zur Lindheimer Kirche entschleunigt. Beinahe versteckt liegt sie am Ende der schmalen Turmgasse. Vogelgezwitscher tönt aus den Bäumen, die das Gotteshaus auf der Rückseite umschließen und deren Kronen weit über das Kirchendach hinausragen. Aus dem Innern dringt leise Musik nach draußen …

 

Die Kirche in Lindheim zählt zu den ältesten gotischen Sakralbauten in Hessen. Die Menschen, die sich hier gleich versammeln werden, suchen Stille und innere Einkehr, ein wenig Abstand zur lauten Welt. Im „Gottesdienst mal anders“, der einmal monatlich mittwochs dort stattfindet, finden sie diese Ruhe. Geleitet wird der Gottesdienst von Pfarrerin Heinke Willms.

 

15 Männer und Frauen sitzen in einem Kreis um den Altar. Psalm-Verse, geistliche Impulse zum gerade Gehörten, Musik und Schweigen wechseln einander ab und geben Raum für eigene Gedanken, um dem Glauben auf die Spur und in das Gespräch mit Gott zu kommen. „Es ist immer viel die Rede von der Sprachfähigkeit im Glauben. Genauso wichtig ist es aber, auch hörfähig im Glauben zu werden“, findet Heinke Willms, die das Format vor zwei Jahren gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe entwickelt hat.

 

Innezuhalten und zur Ruhe zu kommen, das ist gar nicht so einfach, wenn man aus einem hektischen Alltag in ein spirituelles Umfeld wechselt. „Das ist auch eine Übungssache“, sagt Pfarrerin Willms. „Ich empfehle, auf den eigenen Atem zu achten, ruhig ein- und auszuatmen, um in die Stille zu kommen.“ Dann öffne sich ein Raum, in den hinein etwas geschehen könne. „Wir spüren, wie die Stille guttut. Sie gibt Raum, die eigenen Gedanken zu dem, was gesagt wurde, zu entfalten. Vielleicht entdecke ich: Gott ist da. In meiner Nähe“, so Willms weiter.

 

Außerdem trage die Stille der anderen die eigene Stille mit. Das lehre sie die Erfahrung aus dem Kloster. Seit einigen Jahren arbeitet Heinke Willms am „Haus der Stille“, einem Tagungshaus des Klosters Gnadenthal nahe Limburg. Trägerin von Gnadenthal ist die ökumenische Kommunität „Jesus-Bruderschaft“, die dort Tagungen anbietet, wo Menschen in der Stille sein können, wo sie zur Ruhe kommen vor Gott und Impulse für ihr Leben als Christen bekommen.

 

Dem „Gottesdienst mal anders“ liegt die Überlegung zugrunde, eine „kleine“ Gottesdienstform zu entwickeln, die auch ohne Pfarrerin oder Pfarrer stattfinden und die einen Anker im Alltag darstellen kann. „Wir waren uns schnell einig, dass Musik und Stille wichtige Elemente eines solchen Gottesdienstes sein könnten“, so Willms.

 

Für die Musik kann sich die Lindheimer Kirchengemeinde auf ausgezeichnete Musikerinnen und Musiker im Ort verlassen, die diese Gottesdienste - in unterschiedlicher Besetzung - ein ums andere Mal bereichern. Heute musiziert ein Quartett: Lothar Balzer (Gitarre), Heike Barth (Querflöte), Andrea Krause-Balzer (Gitarre) und Claudia Koch (Cello).

 

Eine halbe Stunde dauert der Gottesdienst, dann hat der Alltag die Menschen wieder. Rückmeldungen haben gezeigt: Ein Gottesdienst in der Mitte der Woche, abends nach der Arbeit, tut gut und spricht auch Menschen an, die dem Kirchgang am Sonntag nur wenig abgewinnen können.

 

„Wir brauchen eine höhere Diversität bei unseren Gottesdiensten“, ist Pfarrerin Willms überzeugt. Den klassischen Sonntagsgottesdienst dürfe man sicher nicht aufgeben, „aber reduzieren“. In dem Freiraum, der sich so öffnet, könne etwas Neues entstehen. Heinke Willms plädiert für Offenheit und für den Mut, Neues zu wagen. Gemeinden könnten dabei, wie in Lindheim, eine eigene Form finden. Sie ist überzeugt: „Wir müssen das Sein-Lassen üben. Wir verlieren nicht nur, wir gewinnen auch etwas, wenn wir uns trauen, Dinge sein zu lassen.“

 

Der nächste „Gottesdienst mal anders“ findet wegen der Sommerpause am 18. September um 19.30 Uhr statt. (jub)

Die Kirchengemeinde Lindheim kann sich für den Gottesdienst mal anders auf ausgezeichnete Musiker verlassen, hier Claudia Koch, Lothar Balzer, Andrea Krause-Balzer und Heike Barth (v.l.) Pfarrerin Heinke Willms (vorne) leitet den Gottesdienst. Mit einer Arbeitsgruppe hat sie das Format entwickelt. Fotos: Seipel