Neue Schritte wagen

Was die Kirche angesichts schrumpfender Gemeinden und steigender Kosten jetzt braucht, sind frische Ideen

14. November 2024

Alexander Klein, Stadtjugendpfarrer in Gießen, stellt das Konzept der Jungen Kirche Gießen vor und zeigt Bilder der Lukaskirche vor und nach der Übernahme durch Jugendliche, die sich dort einen Ort geschaffen haben, der „wie ein Zuhause" ist. So jedenfalls steht es auf der Homepage der Jungen Kirche. Fotos: Seipel/JuKi Gießen

Was tun mit Gebäuden und Räumen, die von immer weniger Menschen genutzt werden, während die Kosten für die Unterhaltung davonlaufen? Man setzt Prioritäten: Welche Gebäude brauchen wir und wie nutzen wir sie sinnvoll und mit Perspektive? In diesem Prozess befinden sich die Evangelischen Kirchengemeinden. In den größeren Einheiten, Nachbarschaftsräume genannt, zu denen sich die Gemeinden zusammengeschlossen haben, soll die Bauunterhaltungslast um 20 Prozent reduziert werden. Alles steht auf dem Prüfstand: Kirchen, Pfarrhäuser, Gemeindehäuser und -büros. Am wenigsten betroffen davon sind die Kirchengebäude. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie man wieder mehr Leben in sakrale Räume bringt? Frische Ideen sind gefragt.

 

Neu auf den Gebäudebestand zu blicken, sei eine große Chance, sagt Alexander Klein. Der 55 Jahre alte Theologe ist Stadtjugendpfarrer in Gießen und hat dort ein Projekt mit großer Strahlkraft umgesetzt: die Junge Kirche Gießen, bunt, offen, kreativ, für Menschen zwischen 13 und 35, mitten in der Stadt gelegen und als JuKi längst über Gießen hinaus bekannt. Dort feiert man in gemütlichen Sesseln Brunch-Gottesdienste unter dem Motto „Eat, Pray, Laugh“, trifft sich zum Billard oder im Co-Working-Space zum Lernen. Auch externe Nutzer fühlen sich von der Atmosphäre der JuKi angezogen und buchen den Raum für Treffen. Eigentlich sei die JuKi immer belegt, so ihr Initiator.

 

Klein war jetzt als Impulsgeber zum Jahrestreffen des Dekanatssynodalvorstands mit den Vorsitzenden der Kirchenvorstände aus dem Dekanat Büdinger Land in das Bürgerhaus Nidda eingeladen. Seine Botschaft: „Wagen sie neue Schritte, probieren sie aus. Und binden sie Menschen ein, die sonst nicht mittendrin sind.“ Denn, so seine Erfahrung: Wer mit Kirche eigentlich nichts zu tun habe, lasse sich von Einfallsreichtum und neuen Ansätzen mitreißen und ist bestenfalls sogar bereit, zu unterstützen, sei es mit Arbeitskraft oder mit Geld.

 

„Die Arbeit mit jungen Menschen braucht Räume“, war Kleins Überzeugung, als er 2015 das Stadtjugendpfarramt übernahm. Die Räume fand er in der Lukaskirche in der Löberstraße, die von der Kirchengemeinde nicht mehr genutzt wurde. Das Besondere dieser Kirche: Sie befindet sich in einem Wohnhaus, erbaut in den 1950er Jahren. Klein erinnert sich an den ersten Eindruck: „Nicht wirklich einladend. Aber dann haben wir angefangen zu spinnen und Visionen entwickelt und dabei einen riesengroßen Schatz entdeckt.“ Die Kirchengemeinde überließ ihm und seinem Team junger Ehrenamtlicher die Räume. „Corona kam uns zupass, denn wir hatten nun Zeit, dort zu arbeiten.“ Das heißt: viel Eigenleistung, entrümpeln, putzen, neuer Anstrich, neuer Bodenbelag, neue Möblierung, ein Lichtkonzept. „Und eine richtig gute Kaffeemaschine, die ist enorm wichtig“, so Klein. Mit einem Designer haben sie ein halbes Jahr an ihrem Profil gefeilt, den Namen Junge Kirche festgeschrieben und ein Logo entworfen. Entstanden ist ein Ort „wie ein Zuhause“, der Glauben erlebbar macht, Halt und Orientierung gibt und Raum zur Entfaltung lässt.

 

Nun ist das Büdinger Land nicht Gießen. Allerdings war es auch nicht die Intention des Abends, das Konzept JuKi zu übertragen und zu kopieren. Vielmehr ging es darum, die Kirchenvorstände zu ermuntern, das anscheinend Unmögliche zu denken, genau hinzuhören und hinzuschauen: Was brauchen und was wollen wir in unserem Nachbarschaftsraum? „Weg von der eigenen Gemeinde und hin zu einem Wir“, wie Klein es formulierte.

 

„Nicht jede Kirche muss so sein wie die JuKi, es geht auch ,anders wunderbar‘“, sagte Dekanin Birgit Hamrich und verwies auf die druckfrische Publikation „Kirche kann mehr“ aus dem Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die genau das behandelt: eine einladende Kirche.

 

Nach dem Vortrag Kleins flammten erste Ideen auf: Im Dekanat gibt es durchaus Kirchen, die man als Kinderkirche oder für die Jugendarbeit nutzen könnte. Auch gibt es Gotteshäuser, die sich besonders eignen, Menschen zusammen und ins Gespräch zu bringen und das soziale Gefüge in den Dörfern zu festigen. „In vielen Orten fehlt inzwischen eine Kneipe. Was spricht dagegen, eine Feierabendandacht zu feiern und danach zusammen ein Bier zu trinken“, sagte Rolf Hartmann, der Vorsitzende des Dekanatssynodalvorstands. „Statt zu sagen ,nein, das geht nicht‘, sollten wir doch überlegen, was möglich ist und in unseren Dörfern einen Mittelpunkt schaffen.“ (jub)