von Tanja Langer
für den 22. Dezember
Der Advent neigt sich dem Ende zu, schon die letzte Kerze am Kranz wird morgen angezündet und zwei Tage später feiert die Welt die Geburt von Gottes Sohn. Hallelujah!
Auf diese Ankunft warten wir im Advent. Und Warten ist ja sonst eine ziemlich öde Angelegenheit, aber im Advent wird uns diese Wartezeit mit vielerlei Dingen versüßt: Adventskalender in allen Formen und mit allen denkbaren Inhalten, Adventskränze und Lichterdekoration, der Duft von Tannenzweigen und vor allem von Plätzchen und natürlich Musik. In keiner anderen Zeit des Jahres wird so oft und viel gesungen wie im Advent. Ja, auch „Last Christmas“ gehört irgendwie dazu, gestehe ich ganz ohne Scham.
Aber es gibt noch viel mehr: Von Weihnachtsklassikern in sämtlichen Sprachen bis hin zum Weihnachtsoratorium von Bach. Zugegeben weiß ich nicht mal, was ein Oratorium ist, aber es muss fantastisch gewesen sein, wurde mir berichtet.
Ich kann mit Stolz behaupten, dass mein Dekanat viel zu dieser Vielfältigkeit beiträgt. So viele schöne Konzerte in so vielen schönen Kirchen lassen einem das Herz aufgehen und stimmen uns ein auf den, der in tiefster Nacht erschienen ist. Und ich habe mitgemacht als „Tenöse" bei den Rainbow Gospel Singers aus Altenstadt. Und bei jedem unserer Konzerte habe ich ein Lieblingslied, das ich mit voller Inbrunst und Überzeugung in die Kirche singe. Gospel Musik ist ja nichts anderes als die Frohe Botschaft zu singen, statt wie sonst zu predigen.
Bei diesem Weihnachtskonzert am letzten Wochenende war es das Lied „ A christmas Hallelujah“ von Leonard Cohen. Im Ur-Text ein eher trauriger Song, weil es um ein „broken Hallelujah“ geht, aber in unserer Version erzählt es die Geschichte von Maria und ihrem Verlobten und ihrem Sohn, der zu unserer Rettung auf die Welt gesandt wurde. Für den Chor war dieser Song eine Premiere beim Konzert, aber ich bin mir sicher, dass er in unser festes Repertoire übergehen wird.
So schön und berührend ist diese Geschichte, die uns jedes Jahr wieder in ihren Bann zieht. Der Sohn Gottes, der in einem unscheinbaren Stall in einer unscheinbaren Stadt das Licht der Welt erblickt. Unscheinbare Hirten, die von den Engeln geschickt wurden, dürfen ihn zuerst begrüßen, genauso wie später die drei Weisen. Das zeigt uns, Herkunft und Reichtum sind bei Gott nicht wichtig, jeder einzelne Mensch ist vor ihm gleich und geliebt. Wer möchte da nicht laut „Hallelujah“ in die Welt rufen?
Tanja Langer ist Pfarrerin in Eckartshausen
von Tanja Langer
für den 15. Dezember
Als ich neulich mal mein Büro etwas aufräumte, fiel mir ein Buch in die Hände mit gesammelten Geschichten zur Weihnachtszeit, das ich gar nicht kannte. Ich schmökerte so durch die Seiten und blieb bei einer Geschichte hängen: Es war eine wahre Geschichte, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg passierte.
Ein Pfarrer und sein Freund machten sich daran, die zum Teil durch Bomben zerstörte Kirche aufzuräumen, damit man wieder Gottesdienste feiern könnte. Leider hatten sie nur zwei Eimer und ihre Hände. Als sie mühsam den Schutt in die Eimer füllten, hielt ein Wagen hinter ihnen an.
Ein russischer Soldat mit Gewehr stieg aus und fragte die beiden, was sie denn da machen. Sie erklärten, dass sie versuchen würden, die Kirche herzurichten, so dass die Leute zum Gottesdienst kommen können und wieder Mut schöpfen für die Zukunft.
Der Soldat brummelte etwas und verschwand wieder. Kurze Zeit später kam er zurück, die Ladefläche voll mit Schubkarren, Besen und Holzbrettern. Die beiden Freunde trauten ihren Augen nicht. Sie luden alles ab und wollten sich dankend verabschieden, da zog der Soldat die Jacke aus und packte mit an.
In den folgenden Tagen kam er täglich für ein paar Stunden und half, so dass sie am Samstag Mittag tatsächlich fertig waren. Auf die Frage des Pfarrers, ob er denn an Gott glaube, lachte der Soldat und sagte, dass er als Kommunist nicht gottesgläubig sei, aber seine Mutter. Der Pfarrer erwiderte, sie habe einen guten Sohn großgezogen. Verlegen verabschiedete sich der Soldat, um dann später mit einem schweren Geschenk wiederzukommen. Ehrfürchtig legte er es vor dem Altar ab, küsste ihn und verneigte sich vor dem Kreuz.
Der Soldat hatte tatsächlich vier große Kerzen organisiert, die damals kaum zu bekommen waren. Als der Soldat weg war, tauschte der Pfarrer die Kerzen bei den Katholiken gegen kleinere ein, da sie zu groß für die Leuchter der Kirche waren. Der Soldat kam am nächsten Tag vor dem Gottesdienst, wollte freudig die beiden Freunde begrüßen, da fiel sein Blick auf den Altar. Wütend und enttäuscht und vor allem verletzt sagte er mit Tränen in den Augen: Kerzen von einem Kommunisten sind wohl nicht gut genug für euren Gott. Dann verschwand er für immer.
Die beiden Freunde merkten erst hinterher, wie sehr sie diesen gutmütigen Soldaten verletzt hatten. In seiner Predigt an diesem Sonntag erzählte der Pfarrer seiner Gemeinde, dass sie in ihrer Blindheit hatten einen Menschen davongehen lassen, den das Kind in der Krippe zu sich gerufen hatte.
Diese Geschichte hat mich tief berührt und nachdenklich gemacht. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Dabei gibt es so viele Situationen, in denen ein Mensch genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Da sagt man schon mal sowas wie: Dich hat der Himmel geschickt. Ja, vielleicht ist das so. Manchmal bedarf es nicht unseres Verstandes, sondern vor allem unser Herz ist gefragt. In einem Lied aus unserem Gesangbuch heißt es: Wo ein Mensch sich selbst verschenkt und den alten Weg verlässt, fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Wüsten Gärten macht. Welch wunderbare Vorstellung!
Tanja Langer ist Pfarrerin in Eckartshausen
von Regine Jünger
für den 8. Dezember
Seit über 30 Jahren habe ich als Pfarrerin in Schwickartshausen bei vielen Trauerfeiern in der Halle dort gestanden und immer ein Licht vermisst. Die Kanzel steht in der dunkelsten Ecke. In letzter Zeit hatte dort ein grelles Akkulicht etwas Abhilfe geschaffen. Ende November machte ich mich wieder auf zu einer Trauerfeier – und es war anders: Strom und damit Licht waren eingezogen. Über die gesamte Decke gab es Leuchten, die die ganze Halle und alle Trauernden in ihr in warmes Licht tauchten.
Licht begegnet in der Adventszeit auf besondere Weise. Der Lißberger Turm scheint in alle Himmelrichtungen, und das erste Leuchten wird am Abend des ersten Advents immer besonders gefeiert. Über vielen Straßen und Türen scheinen Sterne, in Fenstern strahlt es, in Gärten blinkt es.
Licht tut gut. Gerade in dunkler Zeit. Oder in besonderen Momenten: Da brechen auf einmal Wolken auf und Sonnenstrahlen scheinen in sichtbaren Strahlen hindurch. Manch ein Mensch konnte das als besonderes Zeichen für sich sehen: Das ist ein Gruß aus dem Himmel.
Eine Kerze in der Kirche, angezündet für einen Menschen. Leuchtendes Zeichen der Nähe und der Wünsche für ihn oder sie. Die Nordlichter, die wir dieses Jahr auch in unseren Breiten entdecken konnten mit ganz neuen Himmelsfarben. Oft gepostet in den Sozialen Medien. „Das Licht der Welt erblicken“, sagen wir oft zum Anfang des Lebens. Alles das macht deutlich, wie sehr wir Menschen von Licht berührt sind.
„Es werde Licht“ war Gottes erstes Wort für die Welt. Ohne Licht gäbe es kein Leben.
So gehe ich gern durch diese früh dunkelnden Tage des Advents, weil mir wie in der Trauerhalle in Schwickartshausen Lichter begegnen. In denen, die gut tun und manche Orte und Zeiten lichter machen, spüre ich auch Gottes Leuchten unter uns.
Regine Jünger ist Pfarrerin der Kirchengemeinden Lißberg und Schwickartshausen mit Bobenhausen I und Eckartsborn.
von David Jumel
für dem 24. November
Es regnet. Temperatur gefühlt im Keller. Die Kälte zieht durch die Klamotten.
Gerade fällt es besonders schwer an den trüben, dunklen Tagen motiviert zu sein. Wie soll das auch gehen, jetzt, wo es einem beim Blick aus dem Fenster gehörig die Laune verdirbt? Das scheint kein Einzelfall. Der November hat es in sich. Nicht nur das nasse Laub hat seine Schwere, auch die Gedanken trüben sich manchmal ein in dieser Zeit. November-Blues oder doch mehr als nur eine kleine Verstimmung? Gefühlt geht es doch allen gerade mies, oder? Machen wir uns nichts vor.
Dienstagnachmittag, es klingelt an der Tür. Eine Frau steht vor dem Pfarrhaus. Sie stellt sich kurz vor und fragt dann ziemlich direkt: „Ich bräuchte einen Schlafplatz, habt ihr was?“ Ich überlege kurz, da ich mich ein bisschen überrannt fühle und zeige ihr dann einen Raum im Gemeindehaus nebenan. Sie ist überglücklich und erzählt von ihrer Reise, die bei Kempten im Allgäu begonnen hat und nun sei sie mit ihrem Fahrrad bis ins Büdinger Land gefahren. Ich bin verblüfft, verwundert. Das hatte ich jetzt wirklich nicht erwartet. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Wie sie so vor mir steht, scheint sie ganz unbekümmert, ausgeglichen, in sich ruhend. Das steckt an. Meine Gedanken sind beim Fahrradfahren, beim Kopf-frei-bekommen, Auszeit-nehmen – Reiselust steigt in mir auf. Welch wunderbare Begegnung, so ganz unerwartet an einem Dienstagvormittag. Die Frauen der Frauenhilfe im Gemeindehaus bieten der Frau, die übrigens Sabine heißt, Kreppel und Kaffee an. Ich bewundere ihr voll bepacktes Mountainbike, mit großen Satteltaschen und einer großen Jakobsmuschel am Lenker. Sabine erzählt von ihrer Reise, ihren Erfahrungen unterwegs. Sie hat eigentlich mit der Kirche nichts zu tun, aber die eine oder andere Person und Gemeinde habe sie kennengelernt und Offenheit erlebt. Irgendwie gehört das auch für mich dazu, dass Kirchengemeinden offen sind für alle Menschen, nicht nur in Notlagen. Vor allem ansprechbar, zugewandt und auch beherbergend, wo möglich.
Als „Gemeinschaft der Heiligen“, wie wir es im Glaubensbekenntnis Sonntag für Sonntag beten, da blitzt durch, was wir sind: Heilige. Jetzt nicht so wie sie vielleicht denken. Ich glaube wir sind eher komische Heilige, Alltagsheilige, so bestimmt.
Manchmal merken wir das gar nicht, aber da wo wir uns einander zuwenden, jemandem ein Lächeln schenken, unsere Hilfe anbieten oder anderes, da verschenken wir kleine Häppchen Nächstenliebe. So manche Begegnung verändert uns. Mich hat diese Begegnung an einem durchschnittlichen Dienstag bewegt und aus dem Alltagstrott geholt. Am nächsten Morgen haben wir Sabine verabschiedet und sie hat sich wieder auf ihr Rad geschwungen. Einfach losgefahren ist sie, mit leichtem Gepäck. Und sie hat etwas von ihrer positiven Energie dagelassen.
Ich wünsche Ihnen immer wieder positive Begegnungen, gerade jetzt in dieser Jahreszeit, durch die wir alle gemeinsam gehen. Und das schöne am November, um ihn jetzt nicht ganz ins Abseits zu stellen, das sind die Stunden mit warmem Tee und Decke drinnen und dass die Zeit und ihre Beschleunigung sich verlangsamen. Wenn ich am Fenster sitze, hat dann so mancher Regenschauer sogar etwas Schönes.
David Jumel ist Pfarrer der Kirchengemeinde Echzell
von Dieter Wichihowski
für den 17. November – Volkstrauertag
„O, Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich Liebe übe, wo man sich hasst;
dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt;
dass ich versöhne, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum wohnt…“
So lautet der Anfang eines Gebets, das dem Heiligen Franz von Assisi zugeschrieben wird und das mich im Blick auf den Volkstrauertag in besonderer Weise berührt.
Am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres gedenken wir in unseren Gottesdiensten und an den Kriegerdenkmalen in besonderer Weise all der Menschen, die bei uns hier in Deutschland und weltweit Opfer von Krieg, Gewalt und Verfolgung geworden sind.
Doch mir fällt auf, dass es in den vergangenen Jahren immer weniger Menschen geworden sind, die an diesen Gedenkfeiern teilgenommen haben, denn die Menschen in unserem Land, die einen Krieg noch hautnah miterleben mussten, werden immer weniger. Die jungen Leute hingegen haben vielfach keinen Bezug mehr zu einem Gedenktag, der ihr Leben scheinbar nicht mehr berührt.
Aber mein Fühlen und Denken sagt mir, dass uns dieser Gedenktag heute nicht weniger angeht, als in früheren Jahren und Jahrzehnten. Nicht nur durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die nahezu täglich in unseren Nachrichten präsent sind (es gibt daneben noch circa 40 andere kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt, von denen kaum jemand etwas weiß), sondern auch durch die Lebenseinstellung vieler Menschen, die mir in unserem Land begegnen.
Auch die Rhetorik einiger Politiker (und es werden leider immer mehr), die eine friedensverachtende und damit auch menschenverachtende Einstellung zeigen, kann uns
die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Das macht Angst und lässt eine Zukunft erahnen, von der wir glaubten, dass sie überwundene Geschichte sei.
Umso wichtiger erscheint mir, nicht nur im Gegenüber zu einem „Gott allen Friedens“ um Frieden zu beten, sondern auch bei den Gedenkveranstaltungen für diesen
Frieden im öffentlichen Raum einzutreten. Denn das Gebet des Heiligen Franz von Assisi sagt es mir immer wieder ganz deutlich: Das Engagement für den Frieden fängt immer bei mir selbst und bei
meiner eigenen Lebenseinstellung an.
Dieter Wichihowski, ist Pfarrer in den Evangelischen Kirchengemeinden Höchst a.d.N./Oberau und der Martin-Luther-Gemeinde Waldsiedlung
von Ulrike Wohlfahrt
für den 10. November
Fast hätte ich es vergessen – Ihnen zu schreiben, liebe Leserinnen und Leser,
zu sehr nahmen mich die Umwälzungen der letzten Tage gefangen. Erst schauten alle in die USA, dann spitzte sich die Lage in unserer eigenen Regierung zu. In den Medien schien der Weltuntergang nahe. Da die Welt aber doch nicht untergegangen ist, geht das Streiten nun weiter. Nur mit anderen Themen. Das ist alles ganz wichtig. Streiten und Ringen um den richtigen Weg. Wenn alle einer Meinung sind und immer genau wissen, was richtig ist, drohen Sichtweisen verloren zu gehen. So manches läuft dann Gefahr, übersehen zu werden. Die Frage ist eher, ob wir uns von all dem politischen Taktieren und Ringen aufreiben lassen.
Ein ganz anderes Licht kommt dazu, wenn wir erleben, dass Menschen geboren werden und sterben. Das geschieht nämlich trotz aller politischen Kämpfe und aller realen Kriege in unserer Welt weiter. Das Sterben betrifft auch nicht nur Menschen in weit entfernten Kriegsgebieten. Nicht nur alte Menschen sterben, sondern auch junge – viel zu junge.
Da tut es gut, wenn mitten hinein ein kleines Kind quakt. Es holt uns heraus aus unserem Tun, fragt nach den Grundlagen unseres Lebens. Es schreit, weil es Hilfe erwartet, weil es noch Hoffnung hat, dass es behütet ist und sich jemand um das Kind sorgt.
Das Kind, es tut, was wir auch tun dürfen: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ (Matthäus 7,7)
Ob wir es schaffen, so auf unseren Lebensgrund – auf Gott – zu vertrauen, dass wir das tun? Wann haben Sie das letzte Mal bei Gott angeklopft, nach ihm gesucht, zu ihm gebetet?
Nicht, um alles abzugeben. Wir sind keine Babys mehr. Aber um nicht alleine dazustehen in all den An- und Überforderungen unseres Lebens. Wie bei Freunden, die wir zu rate ziehen, die wir anrufen, bei denen wir uns vergewissern, die aber auch uns einmal hinterfragen. Nur, mit einem anderen, einem viel weiteren Blick auf die Welt. „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Ich finde, einen Versuch ist es Wert.
Ulrike Wohlfahrt ist Pfarrerin der Kirchengemeinde Düdelsheim
von Birgit Hamrich
für den 3. November
Gott segne dich!, sagt mir die Putzfrau auf dem Flughafen früh am Morgen im indischen Kochi. Sie nimmt meine Hand in ihre und schaut mir sanft in die Augen. Ich bin völlig überrumpelt. Ist es die Müdigkeit, sind es die Eindrücke der hinter mir liegenden Tage, die mich dünnhäutig gemacht haben? Ich gehe etwas unsicher, tief angerührt und gleichzeitig gestärkt in die Abflughalle, setze mich erst mal hin und warte, dass mein Rückflug aufgerufen wird.
Meine Gedanken wandern zurück zu den Begegnungen der vergangenen Tage in einem mir fremden Land, in einer anderen Zeit- und Klimazone, einer fremden Sprache und Kultur. So viel Schönes und Schweres nebeneinander habe ich selten erlebt. Und als das Flugzeug seine Höhe erreicht, mein Sitznachbar eingedöst ist, fange ich an zu schreiben. So viele Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Ich verweile bei den intensiven Farben der wunderbaren Saris, der eleganten Gewänder der Frauen, die sie wie Königinnen aussehen lassen; die anfangs scheu blickenden Kinder, die dann ausgelassen und fröhlich mit den Luftballons spielen, die wir mitgebracht haben, und die gütig wirkenden Alten, die sich über den Besuch und das gemeinsame Singen freuen. „Hier habe ich den Eindruck, die Menschen sehen bis auf den Grund meiner Seele“, sagt die Freundin, mit der ich unterwegs bin.
Wir feiern gemeinsam Gottesdienste in Kirchen hoch in den Bergen. Die Sprachen, die gesprochen werden – Malayalam oder Tamil – klingen fern und fremd. Das Englische der Übersetzer verbindet uns und noch mehr das Unausgesprochene, das Wissen um eine gemeinsame Glaubenstradition, die im Büdinger Land und dem Vogelsberg genauso wie in Kerala durch die Unwägbarkeiten, Unsicherheiten und Ängste des Lebens trägt. Oft wird uns beim Abschied ans Herz gelegt: „Behaltet uns in euren Gebeten!“ Ja, das möchte ich behalten. Genauso wie meine Bitte und mein Vertrauen, dass diese Menschen für uns beten.
Wir kommen aus einer Woche der Gedenktage: Reformationsfest haben evangelische Christen am 31. Oktober gefeiert, Allerheiligen am 1. November und am 2. November Allerseelen die katholischen Christen. Es sind Tage des Erinnerns und Gedenkens. Für mich sind es Tage, an denen die Fragen mich begleiten: Wo komme ich her? Was sind die Wurzeln, die mich nähren? Wer hat mich geprägt? Wie bin ich unterwegs? Es sind existenzielle Fragen, die vor allem in Zeiten, in denen ich dünnhäutig bin, relevant werden.
Die Zeit in einem Land, elf Flugstunden von uns entfernt, und die vergangenen Tage haben mich diesen Fragen wieder nähergebracht. Die Erfahrung einer gemeinsamen Glaubenstradition, die Bestand hat, das einander wirklich Ansehen, Wahrnehmen und miteinander im Gebet und in Gedanken über Zeitzonen und Sprachen verbunden bleiben, möchte ich gerne erhalten und weitergeben. Nicht nur an Gedenktagen.
Gott segne dich!
Birgit Hamrich ist Pfarrerin und Dekanin des Evangelischen Dekanats Büdinger Land
von Tanja Langer
für den 20. Oktober
Wenn Sie diese Zeilen lesen, sitze ich bereits in einem Flugzeug auf dem Weg in einen lang ersehnten Urlaub. Seit meinem Geburtstag im Januar breitet sich die Vorfreude darauf Monat für Monat weiter aus. Zu Beginn habe ich unzählige Internetseiten durchforstet auf der Suche nach einem geeigneten Flug. Danach die Suche nach einem Ferienhaus, das allen Mitreisenden das bietet, was wir uns wünschen. Ich bin nämlich nicht alleine unterwegs. Zwei Freundinnen begleiten mich. Die eine zu krank, um alleine verreisen zu können, die andere musste sich von ihrem Mann verabschieden. Und ich? Ich will einen Tapetenwechsel, Neues sehen und erleben, mal durchschnaufen … und ich will für die beiden da sein, ihnen zeigen, dass sie mir am Herzen liegen und dass wir trotz Erkrankung und Verlust das Leben feiern können.
Erst vor ein paar Tagen stand das alles auf der Kippe. Wir reisen nach Florida, das innerhalb weniger Tage gleich zweimal hart durch Hurrikans getroffen wurde. Wir haben die Nachrichten verfolgt, uns Livestreams angesehen. Aber nicht, weil wir Angst um unseren Urlaub hatten. Uns hat das Schicksal der Menschen betroffen gemacht. Auch das der Tiere. Da wurden Telefonnummern auf den Rücken von Pferden und Rindern gesprüht und sie frei gelassen, um ihnen eine Überlebenschance zu geben. Einen Tag nach „Milton“ dann die erlösende Nachricht: Es wurde nicht so schlimm wie erwartet. Und doch stehen unzählige Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz.
Wir überlegten, ob wir uns wirklich als Touristen dort aufhalten wollen. Es kam uns falsch vor, uns in den Liegestuhl zu legen, während um uns herum die Folgen der Katastrophe nicht zu übersehen sind, so als seien wir Eindringlinge. Wir begannen Plan B auszuhecken. Von Florida weiterfliegen irgendwohin, wo gerade keine Naturkatastrophe wütet.
Doch dann haben wir es uns anders überlegt. Wir fliegen nach Florida. Wir haben uns vorgenommen, nicht wie Eindringlinge dabei zuzusehen, wie die Menschen dort aufräumen. Nein, wir haben uns vorgenommen anzupacken, wenn wir sehen, dass etwas zu tun ist.
Ist es der Urlaub, den wir geplant haben? Nein, wahrscheinlich nicht. Und jetzt kommt das „Aber“. Im Wochenspruch aus dem Römerbrief heißt es: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Eine Naturkatastrophe ist kein Krieg oder dergleichen. Dennoch gibt es Tod und Zerstörung und Menschen, die leiden. In meinem Beruf als Pfarrerin erfahre ich, dass meine Arbeit in meiner Gemeinde, bei den Menschen einen Unterschied macht. Und zwar zum Guten. Wenn ich merke, dass ich durch die Worte bei einer Trauerfeier die Angehörigen wirklich trösten kann, wenn ich einem Konfirmanden mit auf den Weg geben kann, dass Gott auch sein ständiger Begleiter ist, dann bekomme ich so viel von den Menschen zurück. Gott sagt: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ Genau das ist der Punkt. Wir sind von Gott gesegnet und können in die Welt hinausgehen und für andere zum Segen werden. Egal, was uns in Florida erwartet, es wird gut werden.
Tanja Langer ist Pfarrerin in Eckartshausen
von Alexander Starck
für den 13. Oktober
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8 – Lutherbibel)
Der Wochenspruch für die kommende Woche will Antwort geben auf die Frage, wie man sein Leben - vor Gott - richtig gestalten soll. Der Satz kommt so daher, als gäbe es ein ganz einfaches Rezept Gutes zu tun und zu wissen, was Gott von uns Menschen erwartet. Aber dann kommt eine Aufzählung, die ganz schön große Worte enthält – Gottes Wort, Liebe, Demut. Und was soll ich einzelner Mensch jetzt damit machen?
Eine andere Bibelübersetzung – die BasisBibel – ist da schon etwas konkreter, dort liest sich die Anleitung zum gut leben so: das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen. Diese Übersetzung gibt schon eher einen Hinweis darauf, worum es geht: Es geht nicht nur um mich als Einzelnen. Recht halten, Nachsicht mit anderen haben – das sind Prinzipien, die auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt abzielen.
Alles, was wir tun – und auch das, was wir lassen –, hat Auswirkungen auf andere. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der sich so vieles um die eigene Person dreht, ist dies eine ganz wichtige Erkenntnis! Denn wir leben nicht nur für uns selbst; wir können unsere Mitmenschen nicht einfach ausblenden oder ignorieren … Wir sind aufeinander angewiesen.
Und was ist mit dem letzten Teil des Wochenspruchs, der Demut vor Gott – bzw. je nach Übersetzung das bewusste Gehen mit Gott? Das ist die Erinnerung daran, dass wir in unseren Bemühungen für ein gutes Miteinander nicht allein gelassen werden.
Wenn ich den Wochenspruch im Buch des Propheten Micha lese, kommt mir noch eine andere Bibelstelle in den Sinn: Im Markusevangeliuum wird Jesus gefragt, was das höchste Gebot sei. Seine Antwort:
Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese beiden. (Mk 12,29-31)
Jesus ist offen auf die Menschen zugegangen. Er hat sich mit ihnen auseinandergesetzt, geholfen, geheilt ... Seine Richtschnur dabei waren die Worte Gottes, durch die er sich für ein gutes Miteinander eingesetzt hat.
Das sollten wir auch wieder mehr einüben – dieses Miteinander in der Gesellschaft. Das braucht tatsächlich auch Übung und ein gewisses Maß an Liebe, die ich mir selbst entgegenbringe.
„Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir erwartet: das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen.“ (Micha 6,8 – BasisBibel)
Alexander Starck ist Pfarrer im Nachbarschaftsraum Niddaer Land
von Andreas Weik
für den 6. Oktober
Von einem Mann will ich erzählen, der hatte im Dorf seinen Uznamen weg. Man nannte ihn scherzhaft den Herrn „Isjanichtsbesonderes“. Die Leute bestaunten seinen prächtigen Walnussbaum im Hof, doch er meinte nur knurrend: „Isjanischtsbesonderes. Was will man denn mit all den Nüssen? Und da ist ja auch der Dreck, den der Baum macht“. Dieser Mann war erfolgreich im Beruf, verdiente viel Geld und konnte sich tolle Dinge leisten. Wenn die Leute ihn dafür bewunderten, antwortete er immer, dass dies doch nichts Besonderes sei. Dieser Mann hatte drei tolle Kinder. Alle waren gesund, begabt und erfolgreich in Schule und Sport. Beim Elternsprechtag sagte die Lehrerin: „Auf ihre Kinder können Sie stolz sein“. Da antwortete er: „Isjanichtsbesonderes. Bei den Genen“ und zwinkerte ihr zu. Nun wird klar, warum alle im Dorf ihn nur den ´“Herrn Isjanichtsbesonderes“ nannten.
Eines Tages traf Herr „Isjanischtsbesonderes“ Frau „Dankeschön“. „Oh", sagte er bewundernd: „Sie sehen schön und zufrieden aus, irgendwie rundum glücklich.“
„Dankeschön“, sagte Frau Dankeschön. „Ja, genau so ist es. Aber, wenn ich mir das erlauben darf, dann kann man das von Ihnen nicht unbedingt sagen. Sie sehen nicht so zufrieden aus.“ „Isjanichtsbesonderes“, sagte Herr Isjanischtsbesonders.
Als Frau Dankeschön abends ihren Kindern von der Begegnung erzählte, sagte ihre Tochter: „Es ist ja nichts Besonderes, wenn der unzufrieden aussieht. Wenn man nämlich an allem auf der Welt nichts Besonderes findet, dann wird man unzufrieden und miesepetrig.“ „Woher hast Du denn diese Weisheit“, mischte sich der Vater ein.
„Heute haben wir im Reliunterricht darüber gesprochen: Danket dem Herr, denn das macht freundlich.“ Eigentlich heißt es aber „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich“, meinte Frau Dankeschön. „Aber es stimmt. Danken macht auch freundlich. Denn wenn man für etwas Danke sagt, dann findet man, dass es etwas Besonderes ist, und über etwas Besonderes freut man sich und darum macht Danken freundlich.“
Morgen wird in vielen Gemeinden Erntedankfest gefeiert. Eine Einladung zum Dank Gott gegenüber. Wir danken für die Vielfalt der Früchte in unseren Gärten und für das, was die Bauern angebaut und geerntet haben. Wir machen uns bewusst, in welcher Fülle wir leben. Zu den Schätzen unseres Lebens gehört auch, dass wir in Freiheit leben können. Der Jahrestag der Deutschen Einheit ist für mich etwas ganz Besonderes. Die Überwindung der Mauern und des Stacheldrahtes zwischen Ost und West, der Mut der Menschen damals, der friedliche Prostest und ein Umsturz ohne Blutvergießen. Das bleibt etwas ganz Besonderes und Großes in unserer Geschichte und dies muss uns eine Verpflichtung bleiben.
Anders als damals in der DDR darf ich in unserem Land denken, glauben und sagen, was ich will. Ich darf hochgestellte Persönlichkeiten öffentlich kritisieren, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen. Mir wird ermöglicht, meine Religion frei auszuüben. Ich kann mir beruflich eigene Ziele stecken ... Es gibt so viele Dinge, die ich für selbstverständlich erachte und die es keineswegs sind. Der Tod jeder Dankbarkeit ist die Selbstverständlichkeit. Die Geburtshelferin, die Hebamme zum Lebensglück ist das Staunen und das Erkennen des Besonderen.
Andreas Weik ist Pfarrer der Kirchengemeinde Büdingen mit Calbach und Orleshausen
von Ulrich Bauersfeld
für den 22. September
„Der geht zum Lachen in den Keller!“ – sagen wir manchmal über einen Menschen, der immer nur mit ernstem Gesicht herumläuft. Dabei können wir natürlich nur das beurteilen, was wir sehen. Vieles geschieht, und wir sehen es nicht. So kann es auch sein, dass der – von dem wir denken, dass er nur im Keller lacht – dass der durchaus auch seine fröhlichen Zeiten an der frischen Luft hat.
Doch wie war das eigentlich mit Jesus? Hat er gelacht? Musste er dazu in den Keller gehen oder haben alle es gesehen und gehört? Erstaunlicherweise steht davon nichts in der Bibel. Ich habe keine Stelle gefunden, an der so etwas steht wie: „Und Jesus lachte.“ Schade eigentlich.
Andererseits gibt es viele Geschichten und Worte Jesu in den Evangelien, die kann ich mir gar nicht anders vorstellen, als dass Jesus dabei gelächelt oder gelacht oder zumindest mit dem Auge gezwinkert hat.
Der Spruch vom Kamel im Nadelöhr oder das Bild vom Balken im Auge: Da stehen ernste Aussagen dahinter. Klar. Aber es sind auch irgendwie lustige Ideen. Man muss sich das mal vorstellen! Oder wie Zachäus, der würdevolle Zolleinnehmer, den Jesus vom Baum holt: „He du! Komm da mal runter! Ich will dich besuchen!“ Ohne ein Augenzwinkern, ohne ein Schmunzeln geht das gar nicht - bei so einer Geschichte.
Ich bin mir sicher, dass Jesus gelacht hat – gelacht, gelächelt, geschmunzelt. Dabei hat er nicht über die Menschen gelacht, aber mit ihnen. Und manche fröhliche Bemerkung kann Türen öffnen, Menschen ansprechen – und so vielleicht auch die eine oder andere ernste Sache leichter hörbar machen.
Jesus hat gelacht. Und wir dürfen das auch tun. Öffentlich sichtbar. Wir müssen dazu nicht in den Keller gehen. Denn christlicher Glaube ist zuallererst keine ernste Angelegenheit, sondern ein voller Grund zur Freude. So hat das auch der Mann aus Äthiopien gesehen. Von ihm wird in der Apostelgeschichte erzählt. Er war auf dem Weg von Jerusalem nach Hause. Durch das Gespräch mit einem Mann namens Philippus fand er zu Jesus und zum Glauben an ihn. Er ließ sich taufen. Daraufhin – so endet die Geschichte – „zog er seine Straße fröhlich".
Glaube an Gott, Leben mit Jesus ist zuallererst ein Grund zur Freude! Ich wünsche uns, dass uns dies (bei allem, was sonst noch passiert) immer wieder bewusst wird – wie eine Grundmelodie unseres Lebens.
Ulrich Bauersfeld ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Wenings/Merkenfritz und stellvertretender Dekan im Dekanat Büdinger Land
von Frank Eckhardt
für den 8. September
Im Lied 610 des Evangelischen Gesangbuch “Herr, deine Liebe...” heißt es:
„Wir wollen Freiheit, um uns selbst zu finden, Freiheit, aus der man etwas machen kann.
Freiheit, die auch noch offen ist für Träume, wo Baum und Blume Wurzeln schlagen kann.“
Mit der Freiheit ist das aber so eine Sache, weil jeder und jede etwas anderes darunter versteht. Darum sprechen wir auch von der „persönlichen Freiheit“. Wir lassen uns nicht gerne etwas vorschreiben, wir wollen tun, wozu wir gerade Lust haben. Aber bald merken wir: So klappt das nicht. Vielleicht mal im Urlaub -aber auch da gibt es Regeln, an die wir uns halten müssen. Wir entdecken: Wenn jeder seine persönliche Freiheit haben will, dann herrscht bald Chaos.
Darum spricht die Bibel nicht von der persönlichen Freiheit, sondern von einer Freiheit, die von Christus abgeleitet, von seinem Geist erfüllt ist. Freiheit kann also nie etwas sein, was einen anderen Menschen verletzt oder was ihn in seiner Freiheit beschneidet. Freiheit im Geist Jesu ist immer von der Liebe bestimmt – von der Liebe zu Gott, zum Nächsten, aber auch von der Liebe zur Schöpfung.
Wo ich die Freiheit des anderen respektiere, werde auch ich meine Freiheit finden. Martin Luther hat das einmal so ausgedrückt: „Ein Christ ist ein freier Mensch und niemandem untertan“ – aber auch: „Ein Christ ist ein freier Mensch und jedermann untertan.“ In dieser Spannung verläuft unser Leben. In Freiheit sind wir nicht für uns selbst da, sondern auch für die anderen.
Frank Eckhardt ist Pfarrer der Kirchengemeinden Breungeshain, Busenborn und Michelbach
von Elisabeth Engler-Starck
für den 1. September 2024
Wo können Sie mal so richtig durchatmen? Einatmen, ausatmen, zur Ruhe kommen. Für manche Menschen geht das gut zuhause auf dem Sofa, andere nutzen dazu die Bewegung beim Sport oder verschiedene Orte im Urlaub. Auch Kirchen oder Gottesdienste können solche Ruheorte sein.
Für mich ist so ein wichtiger Ort draußen in der Natur. Ganz besonders der Wald. Die Sonne blinkt durch das Blätterdach, aber auch an heißen Sommertagen spenden die Bäume angenehm Schatten. Wenn der Wind die Bäume rauschen lässt, Vögel zwitschern, irgendwo vielleicht noch ein kleiner Bach plätschert – da kann ich mit Leib und Seele durchatmen. Pflanzen, Tiere, Wasser – und ich mittendrin. Ich finde, intensiver kann man Gottes Schöpfung nicht erfahren.
Zwischen dem 1. September und dem 4. Oktober feiern viele Kirchen die sogenannte Schöpfungszeit. 2007 hatte eine ökumenische Versammlung verschiedener europäischer Kirchen dazu aufgerufen, in dieser Zeit besonders für die Schöpfung und ihren Schutz zu beten. In der Evangelischen Kirche ist die Verbindung zu Natur und Schöpfung schon lange eher mit dem Ende dieses Zeitraums verbunden – schließlich wird das Erntedankfest vielerorts am ersten Oktoberwochenende gefeiert.
Aber mir gefällt der Gedanke sehr gut, die Zeit auszudehnen, in der der Schöpfung und ihrer Bewahrung gedacht wird. Nicht nur ihre Erzeugnisse und Früchte an Erntedank zu feiern, sondern auch schon vorher auf all das zu schauen, was diese Welt ausmacht und was genau wie wir Menschen - zur Schöpfung gehört.
Ein Tag in der Schöpfungszeit, in dem an vielen verschiedenen Orten in Deutschland die Schöpfung so betrachtet wird, ist der erste Freitag im September. Seit 2010 feiert die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, in der ganz unterschiedliche christliche Kirchen miteinander ins Gespräch kommen, diesen Tag als Schöpfungstag und regt Kirchengemeinden und Gruppen an, das auch zu tun.
Im Dekanat Büdinger Land feiern wir in diesem Jahr den Schöpfungstag am 6. September in Bad Salzhausen – mitten in der Natur im Kurpark wird gesungen, gebetet, Natur erlebt, Schöpfung gefeiert. Und ganz wichtig dabei: Der Dank für Gottes Schöpfung. Dazu passt auch der Wochenspruch für die kommende Woche aus Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Im Alltag, mitten in der lauten Welt, in der bei weitem nicht alles Gut ist, fällt das manchmal schwer. Aber beim Durchatmen mit Leib und Seele, mitten in Gottes Schöpfung, da fällt es mir plötzlich ganz leicht. Probieren Sie es doch auch mal!
Elisabeth Engler-Starck ist Referentin für Ökumene im Evangelischen Dekanat Büdinger Land
von Tanja Langer
für den 18. August 2024
Vor ein paar Jahren war ich zu einem Hochzeitsjubiläum bei einem älteren Ehepaar. Es war schon Nachmittag, als ich die Zeit fand, hinzugehen. Das Ehepaar freute sich wie Bolle, als ich vor der Tür stand. Sie schäumten über vor Gastfreundschaft. Brachten mir ein Glas Wasser, Sekt und Kuchen. Ja und dann auch einen Teller mit Schnittchen. Sorgfältig geschnittene kleine Baguettescheiben, belegt mit Lachs oder Wurst und liebvoll verziert mit Gürkchen und Tomätchen. Nur leider mindestens schon sechs Stunden ohne Kühlung auf dem Esstisch gestanden. Sie erzählten mir dabei, dass sie eigentlich mit vielen Gästen gerechnet hätten, auch mit einem Besuch der Stadt, die eigentlich in solchen Fällen eine Urkunde überreicht. Aber keiner kam, nur ich mit meiner Urkunde der Kirchengemeinde und einem kleinen Heftchen mit Anekdoten zum Jubiläum. Ich überlegte fieberhaft, was ich nun tun sollte. Die Wahrheit sagen, dass die Schnittchen so angegammelt aussahen, dass ich sie nicht essen möchte? Oder Augen zu und durch? Was hätten Sie getan?
Wenn wir aufwachsen bekommen wir von der Familie beigebracht, die Wahrheit zu sagen. Lügen ist schlecht. So sagen es ja auch schon die zehn Gebote: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Warum tun wir uns trotzdem so schwer, mit der Wahrheit herauszurücken? Warum sagen wir nicht einfach, was wir denken?
Ganz einfach. Weil wir mittlerweile erfahren sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen womöglich mit Rückzug und Kränkung reagieren, wenn wir ehrlich sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Wahrheit negative Auswirkungen auf unsere Beziehungen haben kann. Und dann gibt es ja auch noch den Fall, dass man nicht ehrlich ist, weil es einen vor Strafe schützt oder einen Vorteil für einen birgt.
All diese Erfahrungen habe ich auch gemacht. Im Fall der Schnittchen habe ich Variante „Augen zu und durch“ gewählt. Lächelnd auf den Gummibaguettes herumgekaut und gut mit Sekt nachgespült. Hier spielte vor allem Höflichkeit eine Rolle. Ich spürte, dass sie es wirklich gut mit mir meinen und schon so enttäuscht waren, weil sonst niemand kam. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, abzulehnen.
Und so haben wir uns Mechanismen zugelegt, wie wir in solchen Situationen reagieren.
Stellen Sie sich vor, schon die Bibel kennt diese Mechanismen. Adam, der erste Mensch, wollte nicht anerkennen, dass er gegen Gottes Willen handelte. Er war schuldig geworden, erkannte sogar, dass er nackt war. Er wählte aber den Rückzug und versteckte sich vor Gott und der Realität. Täuschung und Manipulation gehören seither zu unserem Leben und haben Auswirkungen auf unser Miteinander.
Einerseits fordern wir von anderen, authentisch zu sein. Andererseits fällt es uns oft selbst so schwer, ehrlich zu sein und auch ehrliche Kritik an unserer Person auszuhalten und im besten Fall auch anzunehmen, wenn sie berechtigt ist.
Ehrlichkeit hat also ihren Preis, in so vielen Facetten unseres Lebens.
Aber ganz ehrlich? Einfach macht es uns die Ehrlichkeit nicht. Sie versetzt uns in ein Spannungsfeld von Werten und Motiven. Es gibt ja doch eine Schmerzgrenze an Ehrlichkeit, die ein gutes Miteinander aushält. Dennoch fordert mich die Bibel an mehreren Stellen auf, die Wahrheit zu leben. Was hilft nun?
Mir persönlich hilft die Frage nach meiner Motivation. Will ich mein Gegenüber mit der Wahrheit verletzen? Kritisiere ich vielleicht gerade nur, weil ich einen Blitzableiter für meine schlechte Stimmung brauche, also das klassische „Um sich beißen“. Oder mache ich womöglich einem Menschen nur ein Kompliment, weil ich ihn manipulieren will?
Ich denke, man muss nicht immer aussprechen, was wahr ist. Vielleicht gibt es dafür einen besseren Zeitpunkt. Und es ist wichtig, sich seiner eigenen Werte bewusst zu bleiben, damit man morgens in den Spiegel schauen kann. Außerdem gehört für mich für einen gesunden Umgang mit der Ehrlichkeit auch immer Gott dazu. Er hat mich gemacht. Mit der Freiheit Entscheidungen zu treffen. Ihm können wir nichts vormachen. In Psalm 139 lesen wir, wie gut Gott uns kennt, Lege ich mich hin, stehe ich auf, Gott weiß es. Welche Worte meine Lippen verlassen werden. Auch das weiß Gott. Gott kennt uns besser, als wir uns selbst. Im Schutzraum seiner bedingungslosen Annahme kann ich weiter lernen, mich auch den Menschen so zu zeigen, wie ich bin. Leben nach dem Motto: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu. Ich glaube mit diesem Wissen im Hinterkopf kann es uns gelingen, das Richtige zu tun.
Tanja Langer ist Pfarrerin in Eckartshausen
von Hanne Allmansberger
für den 11. August 2024
Sommerzeit. Fahrradzeit. In unserem Nachbarschaftsraum Niddaer Land haben wir im Rahmen einer Sommerreihe morgen einen Abendmahlsgottesdienst in Bad Salzhausen. Dabei soll die Stadtradelaktion für Nidda feierlich eröffnet werden. Umsteigen vom Auto auf das Fahrrad – eine gute Idee, die auch Kirchenvorstände unterstützen im Team „Kirche unterwegs“.
Kirche verändert sich. EKHN 2030 nennt sich eine Entwicklung, die die Zukunft von Kirche gestalten will. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte waren oft: Menschen verlassen die Kirchen, die Kirchengemeinden, sie treten aus. Manche wollen schlicht Geld sparen. Manche haben sich schon lange gedanklich verabschiedet. Manche halten den christlichen Glauben für überflüssig. Das kann dann weg. Merkwürdigerweise kommen aber Menschen dann doch Weihnachten in die Kirche. Oder sie wollen ihr Kind taufen lassen, haben aber selbst die Kirche längst verlassen. Kirchliche Angebote werden gerne mitgenommen, aber Mitgliedschaft? Nein, so wichtig ist es doch nicht.
Als unsere Kirche noch ganz jung war und die Jünger Jesu noch am Leben, kamen die ersten Christen aus dem Judentum. In Jerusalem fing alles an. Dem jüdischen Glauben entsprach es, sich an die Thora, an Gottes Weisung für das Leben zu halten. Gebote sind dazu da, das Leben und das Miteinander zu schützen – das Miteinander von Gott und den Menschen und das Miteinander der Menschen untereinander. Sie tun gut, die Zehn Gebote – und die vielen anderen Gebote, die sich daraus ableiten. Für die ersten Christinnen und Christen war das ein vertrauter Gedanke, den sie weitertrugen. Das Gebot, die Thora, Gottes Weisung, ist wichtig und gut zum Leben. Sie haben das nicht angezweifelt. Als dann mit dem Apostel Paulus das Evangelium die Grenze von Israel überschritt und sich in Kleinasien und Griechenland verbreitete, stellte sich die Frage, wie es mit den Gesetzen steht. Müssen wir sie halten, um die Gemeinschaft zu schützen? Müssen sich alle beschneiden lassen, um die Gemeinschaft mit Gott zu bekräftigen? Gelten die Speisevorschriften auch für die Getauften?
Dies waren Fragen, die im Grunde sicherstellen wollten, dass Menschen sich darüber klar werden, wer gehört dazu und wer nicht? Sehr menschliche Bedürfnisse sind damit verbunden. Klar ist, wer dazu gehört, hat Anspruch auf bestimmte Leistungen wie Taufe, Konfirmation, Gottesdienste – auch anlässlich von Eheschließungen, Trauerfeiern, Seelsorge. Das ist unser Alltag in den Kirchen.
Im Wochenspruch lese ich: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ Das sind Worte aus dem ersten Petrusbrief. Und dann denke ich, dass Gott das entscheiden kann. Kirche muss sich immer wieder neu anpassen. Da sind Aktionen wie das Stadtradeln nur ein kleiner Teil davon, den finde ich richtig gut. Wir Menschen brauchen Veränderungen, neue Ideen. Gott bleibt derselbe. Gestern, heute und immer. Gott sei Dank.
Hanne Allmansberger ist Pfarrerin der Kirchengemeinde Nidda
von Ulrich Bauersfeld
für den 4. August 2024
Der morgige Sonntag ist – wie in jedem Jahr der zehnte Sonntag nach Trinitatis – der „Israelsonntag“. Wir werden als christliche Gemeinde eingeladen, in besonderer Weise an das Volk Israel zu denken und an das Leid, das es in seiner Geschichte erlitten hat.
Seit vielen Monaten sehen wir in unseren Nachrichten die Berichte über das aktuelle Kriegsgeschehen in und um Israel. Unermessliches Leid widerfährt den Menschen auf allen Seiten. Dies macht uns betroffen – ja, oft sprachlos. Wir haben sicher auch eine Meinung zu manchem, was geschieht. Doch wir können im Letzten nichts beurteilen. Wir können nur versuchen, zu helfen – so es uns möglich ist.
Eine Hilfe, die wir alle leisten können, ist das Gebet: Wir können immer wieder die Leidtragenden vor Gott bringen – in der Hoffnung, dass er Möglichkeiten weiß, das Leid zu beenden, dass er Wege kennt, die die Verantwortlichen gehen können, und dass er die Kraft hat, den Betroffenen zu helfen.
In den kirchlichen Kalendern steht für den Monat August in diesem Jahr folgender Vers: „Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ (Psalm 147,3)
Die „zerbrochenen Herzen“: In unserer heutigen Sprache können wir vielleicht auch sagen: die „zerbrochenen Seelen“. Neben allem körperlichen Leid, das geschieht, ist da auch ein unfassbar großes seelisches Leid. Vielen Menschen zerbricht förmlich die Seele – bei all dem Leid, das sie ertragen müssen: im Nahen Osten und auch in so vielen anderen Regionen der Erde.
Ich weiß nicht, warum das alles geschieht. Ich verstehe nicht, warum Gott das zulässt. Ich erlebe aber Gott als den, der in Jesus Christus in die Welt gekommen ist und der auch heute noch zu uns kommen will – in unser Leben, in unsere Herzen, in unsere Seelen. Ich glaube daran: Er kann die zerbrochenen Seelen heilen. Er kann ihnen neue Kraft und Hoffnung geben – auch dann, wenn die Ereignisse des Lebens kaum noch zu ertragen sind.
Und so will ich uns diesen Satz zurufen – diesen alten Satz aus den Psalmen, aus dem Gebetbuch Israels: „Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ Lasst uns versuchen, diesem Gott zu vertrauen, dass er die zerbrochenen Seelen nicht allein lässt, dass er Heilung schenken kann – auch da, wo es uns unmöglich erscheint. Lasst uns zu ihm beten – für Israel und für alle anderen Leidtragenden.
Ulrich Bauersfeld ist Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Wenings/Merkenfritz und stellvertretender Dekan im Dekanat Büdinger Land
von Renate Nagel-Kroll
für den 28. Juli 2024
„Schäfchen zur Linken – das Glück wird Dir winken – Schäfchen zur Rechten ..." Wie geht eigentlich dieser Satz weiter? Ja, wenn das so einfach wäre mit dem Glück und dem Vorahnen der Zukunft …
Ist es nicht so, dass ein positiver Satz mich gelassener in den Tag gehen lässt, eine negative Aussage mich aber schon gleich negativer stimmt? Manchmal passieren dann tatsächlich Dinge, die ich befürchtet hatte. Dabei handelt es sich oft um den Effekt der sogenannten „self-fulfilling prophecy“, heißt: Wenn ich zum Beispiel morgens mit dem „falschen“ Fuß aufgestanden bin und in meinem Horoskop etwas von einem „drohenden Problem“ zu lesen ist, erwarte ich gar nichts Gutes mehr von diesem Tag, mein Fokus ist auf das Negative gerichtet und dann wird mir mit großer Wahrscheinlichkeit auch etwas Unschönes begegnen oder so manches nicht glatt laufen.
Von der „sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung“ mache ich jetzt einen Sprung zu den Propheten. Was sind oder waren das für Leute? Seher, Unheils- und Heils-Verkünder, Stimme Gottes in der Öffentlichkeit, von Gott Berufene … In der Bibel finden sich einige von diesen „Gottesmännern“ und auch Prophetinnen werden erwähnt – geistbegabte Frauen wie Mirjam, Debora oder Hanna. Nicht alle haben Ihren Auftrag gleich freiwillig übernommen. Am bekanntesten ist vielleicht Jona, der zunächst die Flucht ergreift, dann im Bauch eines Fisches landet und schließlich die Menschen in Ninive eher unverhofft zur Umkehr ihres Lebenswandels bewegen kann.
Der Satz eines Professors in meinem Studium ist mir bis heute in Erinnerung geblieben: „Ein Prophet ist nicht einer, der etwas vorhersagt, sondern einer, der etwas HERVORsagt!“ So gesehen sind Propheten keine Wahrsager, sondern Wahrheits-Sager: so und so sieht es in der Welt gerade aus und wenn wir so weitermachen, wird es die und die Auswirkungen haben – ein hochaktuelles Thema! Fast täglich hören wir davon: Klimawandel. Erderwärmung, Waldsterben, Umweltzerstörung… Aber all das wissen wir ja nicht erst seit gestern, eher seit vor-vor-gestern!
Sind die Propheten vor 40, 50 Jahren nicht gehört worden? Warum wurden eigentlich die Jute-Taschen, die wir in den Achtzigern benutz haben, durch Plastiktüten abgelöst? Und was sich heute „Up-Cycling“ nennt, haben wir damals schon in der kreativen Arbeit mit Kindern ähnlich gehandhabt. Immerhin: Mittlerweile gibt es die getrennte Müllsammlung, Waschmittel ohne Phosphate, Second-Hand-Läden, Car-Sharing u.ä. Warum? Weil sich problembewusste Menschen dafür eingesetzt und Warnungen von Fachleuten ernst genommen haben. Wenn also viele an einem Strang ziehen, kann das durchaus zum Erfolg führen.
Die Propheten und Prophetinnen – die „Hervor-Sager/innen“ - es gibt sie auch heute. Und vielleicht gehören wir selber ebenfalls dazu – sei es durch Teilnahme an lautstarken Protesten oder ganz einfach durch unser Vorbild-Verhalten, das durchaus nicht versteckt bleiben muss. Wir tragen Verantwortung – für uns und die kommenden Generationen. Nehmen wir sie an – und bitten wir um Gottes Hilfe zur Unterscheidung der „Geister“ – ganz im Sinne des Monatsspruchs für Juli (2. Mose/Exodus 23,2): „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“
Renate Nagel-Kroll ist Gemeindepädagogin in der Arbeit für und mit Familien
von Reiner Isheim
für den 7. Juli 2024
„Alles, was bei Gott seinen Anfang nimmt, auch wenn es klein beginnt, wächst still und stetig unter seiner Hand wie ein Samenkorn aus seiner Hand.“ So beginnt eines der neuen Kirchenlieder. Mir scheint es in der Tat so zu sein, dass Gott gerne klein und unscheinbar beginnt. So kann man es in der Bibel lesen. Die Geschichte des auserwählten Volkes beginnt mit einem alten Wanderhirten und seiner Frau, die irgendwo im Orient unterwegs sind. Sie nehmen die Gottesboten auf in ihrem Zelt, die ihnen ein Kind verheißen, obwohl sie schon alt sind.
Viel Später: Aus dem Kind des Wanderhirten ist ein Volk geworden. Als dieses auserwählte Volk verschleppt in der Fremde Zwangsarbeit leisten muss und am Ende zu sein scheint, lässt Gott durch einen Propheten ausrichten: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.“ So geschieht es auch.
Und wieder setzt Gott neu an. In Jesus kommt er zur Welt, als ein Säugling, als Kind eines Bauhandwerkers und seiner jungen Frau in einem ziemlich abseitigen Winkel der damaligen Welt. Erwachsen geworden, redet er mit den einfachen Leuten in einfachen Worten. Mit den Gelehrten seiner Zeit diskutiert er meistens ziemlich konträr. Am Ende wird er von den Mächtigen hingerichtet.
Und wieder fängt es klein an. Seine Auferstehung bleibt im Dunkel des Ostermorgens verborgen. Erst nach und nach fassen seine Anhänger die Hoffnung, dass er weiterhin da ist – auf eine eigenartig ungreifbare Weise.
Jesus selbst vergleicht das Reich Gottes mit einem kleinen Samenkorn, das aufgeht und nach und nach eine große Pflanze wird.
Der Apostel Paulus, einer der ersten Sendboten des Christentums hier in Europa, hat in einem seiner Briefe geschrieben: „Was gering ist vor der Welt, das hat Gott erwählt.“
So weckt Gott in denen, die ihm vertrauen, immer wieder die Hoffnung, Ein Zeichen dafür ist mir mein Buchsbaum geworden. Seit einigen Jahren ist der Buchsbaumzünsler im Lande, der die Buchsbäume radikal abfrisst. So erging es auch meinem, er war kahlgefressen und wir haben ihn ausgerodet. Doch nun ist an genau der Stelle, wo der Alte stand, ein neuer kleiner Buchsbaum gewachsen, ganz ohne mein Zutun. Und ich habe gehört, dass inzwischen die heimischen Vögel anfangen, den Zünsler als Futter anzunehmen. Nun, wir werden sehen. Doch die Hoffnung, die ist da. Und bleibt.
Reiner Isheim ist Pfarrer in den evangelischen Kirchengemeinden Nidda, Stornfels, und Ulfa
von Ulrich Bauersfeld
für den 30. Juni 2024
Manchmal kehren auch alte Besen gut. Nicht immer. Aber manchmal sind die alten Gerätschaften oder Werkzeuge halt doch die besten. Das Alte ist nicht immer gut, keineswegs. Oft ist es nötig und sinnvoll, etwas Neues auszuprobieren. Doch manches Alte hat dann vielleicht immer noch seinen Platz.
Im Moment freuen sich viele von uns an der Fußball-EM. Für den Erfolg ist es sinnvoll, denke ich, eine gute Mischung aus „Alt und Jung“, „Erfahren und Neu“ zu finden. So glänzen die jungen Stars wie Musiala und Wirtz mit ihrem frischen Spiel. Doch auch die etwas älteren Spieler wie Kroos und Gündogan sind mit ihrer Erfahrung wichtig.
Bewährtes Altes behalten – und zugleich immer wieder auch etwas Neues versuchen: Das ist oft ein guter Weg. (Auch wenn manche von uns sich vielleicht noch nicht so ganz an den Versuch des neuen „Auswärtstrikots“ der DFB-Elf gewöhnt haben ....)
Bewährtes Altes: Das gibt es an diesem Wochenende auch in Wenings auf dem „Markt“ zu sehen. In der Oldtimer-Ausstellung werden - wie in den vergangenen Jahren - wieder viele Traktoren und andere historische Autos zu bewundern sein. Das „Alte“ hat hier seinen besonderen Reiz.
„Alt“ ist auch der christliche Glaube. 2000 Jahre liegt die Auferstehung Jesu zurück. Und noch viel weiter in der Vergangenheit liegen viele Erfahrungen, die Menschen mit Gott gehabt haben, von dem die Bibel erzählt.
„Zuflucht ist bei dem alten Gott und unter den ewigen Armen“ heißt es in 5. Mose 33,27. Der Dichter Jochen Klepper greift diesen Satz am Beginn eines seiner Lieder auf. Ja, Gott ist eine „alter Gott“. Er ist schon ewig da. Und auch der Glaube an ihn ist ein „alter Glaube“, der schon seit Jahrtausenden vielen Menschen Kraft gibt. Ich finde es gut, in diesem alten Glauben an diesen alten Gott leben zu dürfen – in der Gemeinschaft mit vielen Menschen, die vor mir gelebt haben und nach mir leben werden.
Dieser alte Glaube kann für sich immer wieder neue Formen finden, in denen er gelebt wird – so wie auch Gott selbst immer wieder neue Bilder, Worte und Töne nutzt, um sich uns zu zeigen, um zu uns zu kommen, um in uns zu wirken. Seien wir offen dafür – offen für den alten Gott, wie auch immer und durch wen auch immer er sich uns offenbaren will.
Ulrich Bauersfeld ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Wenings/Merkenfritz und stellvertretender Dekan im Dekanat Büdinger Land
Evangelisches Dekanat Büdinger Land | Bahnhofstraße 26 | 63667 Nidda
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