Fingerzeig und Mandelzweig

von Ulrike Wohlfahrt

für den 10. März 2024 

Pfarrerin Ulrike Wohlfahrt. Foto: Daniel Lijovic
Pfarrerin Ulrike Wohlfahrt. Foto: Daniel Lijovic

Seit letztem Jahr zwingt mich mein Rücken zu mehr Bewegung. Manchmal kommt mir das sogar gelegen. So auch in diesen Tagen während der Vorbereitung von mehreren Beerdigungen.

 

Ich will Sie mitnehmen zu meinen Entdeckungen. Haben Sie Lust? Wir gehen durch Düdelsheim, durch den Ort, in dem ich Pfarrerin bin. Ich gehe eine kleine Runde. Nur 15 Minuten. Aber das reicht.

 

Interessant wird es auf dem Rückweg. Da bleibe ich hängen an einem Vorgarten, aus dem sich mir wohl noch Überreste von Halloween entgegenstrecken. Eine (hoffentlich nachgebildete) Skeletthand in eindeutiger Haltung: Alle Finger sind zur Faust gemacht, nur nicht der Mittelfinger. Dieser ist gerade ausgestreckt.

 

Ich muss lachen.: „Genau so ist es! Genau das fühle ich, lieber Tod, aber in Bezug auf Dich.“ In mir steigen die Worte auf: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? (1 Kor 15,55)“ In so vielen Gesprächen haben mir Familien zuletzt von ihrem Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod erzählt.

 

Da möchte ich glatt dem Tod dieses Handzeichen entgegen halten. Und zwar nicht nur dem leiblichen Tod, sondern auch all den Todesbringern in den Kriegen und Unmenschlichkeiten unserer Welt. Doch natürlich bin ich dafür zu gut erzogen. Angeregt durch den weiter umherschweifenden Blick, der an rosa Blüten hängenblieb, möchte ich stattdessen ein Gedicht von Schalom Ben-Chorin zitieren, geschrieben in Jerusalem 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg:

 

Das Zeichen

Freunde, dass der Mandelzweig

Wieder blüht und treibt,

Ist das nicht ein Fingerzeig,

Dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging,

Soviel Blut auch schreit,

Achtet dieses nicht gering,

In der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,

Eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg

Leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig

Sich in Blüten wiegt,

Bleibe uns ein Fingerzeig,

Wie das Leben siegt.

Ulrike Wohlfahrt ist Pfarrerin der Kirchengemeinde Düdelsheim