- Veranstaltungen
- Arbeitsfelder
- Das Dekanat
- Landesgartenschau 2027
- Nachbarschaftsräume
- Veranstaltungen
- Arbeitsfelder
- Das Dekanat
- Landesgartenschau 2027
- Nachbarschaftsräume
für den 16. November 2025
Der Monat November kündigt sich an, während ich diese Zeilen schreibe.
Regen, stürmischer Wind, kühle Temperaturen. Ich bleibe lieber drin, genehmige mir einen Tee, hole die warme Kolter raus, höre die Couch rufen. Ich igele mich ein, bereite mich auf die langen Wintertage vor. Die Uhrumstellung brachte eine Stunde Schlaf zusätzlich, die Geschäftigkeit des Sommers und das Leben draußen sind mit den Sommersachen im Kleiderschrank verstaut. Wer sich raus wagt, tut das, weil er muss, oder dann, wenn das Wetter sich kurz beruhigt, aber lieber mit dem Auto als zu Fuß. Doch zwischendrin, da gibt es auch in dieser Jahreszeit immer wieder Lichtblicke.
Im Jahreswechsel ins neue Jahr begleitet uns die Jahreslosung für 2026:
„Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu.“ (Offenbarung 21,5)
Was darf alles neu werden? Wo kann es sinnvoll sein, ausgetretene Pfade zu verlassen? Und welches Risiko birgt ein Neuanfang?
Das sind Fragen, die mir sogleich durch den Kopf schießen.
Aber erstmal geht es nicht um mich. Gott macht alles neu. Seine Zusage gilt uns, das ist der zweite Schritt. Das drückt jetzt der Herbst mit seinem Farbspiel wunderbar aus. Der jahreszeitliche Wandel von Blühen und Vergehen ist in vollem Gang. Und meine geschaffene Ordnung gerät täglich aus den Fugen, wenn der vom Laub befreite Hof wieder und wieder von Blättern bedeckt ist und alles unter einer Decke aus Laub versinkt.
Wenn aber der Herbst auch der Herbst in meinem Leben ist, wenn ich das Gefühl habe, es geht nicht mehr weiter, ich baue ab, meine Kräfte schwinden, dann kann Gottes Zusage eine Kraftquelle sein, eine, die nie versiegt.
Die mir vor Augen führt, dass im Neubeginn eine große Chance liegen kann.
Im Jahreslauf steckt für mich dieser Neubeginn im Wechsel des Jahres, da, wo das alte Jahr still zu Ende geht und an der Schwelle das neue Jahr noch auf sich warten lässt.
Da entsteht eine Spannung, zwischen Erwartung und großer Stille, zwischen noch nicht und schon jetzt.
Meine Erfahrung im Leben sagt, viele Aufbrüche ins Ungewisse endeten in einer Gewissheit, einem Ankommen, das ich so vorher nicht vor Augen hatte. In vielen biblischen Erzählungen sind Menschen ins Unbekannte losgezogen und haben sich leiten lassen von einem, der im Stande ist, einmal alles neu zu machen. Der Glaube an ihn kann Wunder wirken – damals wie heute.
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. […] und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ (Offenbarung 21,1.4)
David Jumel ist Pfarrer im Nachbarschaftsraum Evangelische Kirche in den Auen
für den 9. November 2025
Es sind beängstigende Zeiten. Kriege, Populismus, Hass und Desinformation erschüttern die Welt. Dauerkrisen lassen uns keine Ruhe, Unsicherheit und Erschöpfung sind oft schon da, bevor wir die Nachrichten überhaupt öffnen. Wir spüren, dass etwas brüchig wird – das Vertrauen, dass alles gut werden könnte.
„Es sind beängstigende Zeiten, mein Gott,“ schreibt die Jüdin Etty Hillesum an einem Sonntagmorgen 1942 in ihr Tagebuch. „Heute Nacht lag ich zum ersten Mal mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln und viele Bilder menschlichen Leidens zogen an mir vorbei.“
1941 beginnt die damals 27-jährige Niederländerin, ihre Beobachtungen und Gedanken zu Papier zu bringen. Längst ist der Nationalsozialismus auch in den Niederlanden angekommen. In diesen beängstigenden Zeiten fasst sie nicht nur ihr Inneres in Worte, sondern hält auch das tosende Beben der Zeit fest, das alles erschüttert. In ihren Zeilen hallen immer wieder Schrecken und Verzweiflung nach – und doch bewahrt sie sich einen eigenen inneren Raum. Am 12. Juli 1942 verfasst sie im Durchgangslager Westerbork ein „Sonntagmorgengebet“:
„Ich werde dir eines versprechen, Gott, aber nur eine Kleinigkeit: Ich werde meine Sorgen um die Zukunft nicht wie beschwerende Gewichte an die Gegenwart hängen, aber das erfordert ein gewisses Maß an Übung. Jetzt ist jeder Tag an sich schon schwer genug. Ich werde dir helfen, Gott, dass du nicht in mir zugrunde gehst, aber ich kann im Voraus für nichts garantieren. Aber eines wird mir immer klarer: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns selbst. Und das ist das Einzige, was wir in dieser Zeit bewahren können, und auch das Einzige, auf das es ankommt: ein kleines Stück von dir in uns selbst, Gott. Und vielleicht können wir auch mithelfen, dich in den geplagten Herzen anderer zutage zu fördern. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst du nicht viel ändern zu können, sie sind nun einmal auch Teil dieses Lebens. […] Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen […].“[1]
Die Umstände als Teil des Lebens anzusehen, mag zynisch wirken. Dennoch ist darin keine Resignation zu finden. Statt Verantwortung auf Gott zu übertragen, zeigt Etty Hillesum, dass wir selbst in der Verantwortung stehen, Gottes Gegenwart durch unser Handeln in der Welt spürbar werden zu lassen. Indem wir Gott helfen, helfen wir uns selbst.
Am 30. November 1943 meldete ein Bericht des Roten Kreuzes Etty Hillesums Tod im Konzentrationslager Auschwitz.
[1] Etty Hillesum, Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Schriften, Hg. K. A. D. Smelik, C.H. Beck 2023, S. 620f
Maria-Louise Seipel ist Referentin für Bildung und Gesellschaftliche Verantwortung im Dekanat Büdinger Land
für den 2. November 2025
Hans wollte wissen, worüber ich am nächsten Sonntag predigen werde. Lukas siebzehn. Auf dem Weg nach Jerusalem heilte Jesus zehn Leprakranke. Aber nur einer bedankte sich. Da werde ich mich doch hoffentlich nicht allzu spießig über das Danken verbreiten. Hans traf mit dieser Bemerkung einen wunden Punkt, der mir bisher nicht aufgefallen war. Das Danken ist nur scheinbar das Hauptthema.
Die Geschichte von den zehn Aussätzigen kennt Hans schon seit der Grundschule und dem Kindergottesdienst. Die Botschaft wäre immer gewesen: Vergiss niemals, dich zu bedanken, wenn du etwas Gutes geschenkt bekommst. Sonst bist du wie die Gestalten in der Bibel, die sich für ihre Heilung nicht bedankt haben. Dass Kinder das Bedanken lernen müssen, steht für Hans außer Frage. Ebenso wenig die unerfreuliche Tatsache, dass heutzutage viele Erwachsene keine Gedanken ans Bedanken aufwenden. Danken ist außer Mode. Das ist ein Kulturverlust. Hans möchte deshalb aber nicht die Bibel bemühen. Danken sollte sich unter allen Menschen von selbst verstehen. Ich solle mit der Predigt auch kein Öl in die Feuer der Leute gießen, die fortwährend den Schwund guten Benehmens bemängeln.
Worüber willst du denn, dass ich predige? fragte ich Hans. Die Antwort kam sofort: Über die Aufwertung der Abgewerteten. Darum geht es. Der Rest ist Beigabe. Predige über den Samariter! Der sich bedankte war ein Samariter. Das wird im Text extra hervorgehoben. Die Samariter waren die Menschen, die in Samarien wohnten. Wer in Galiläa und Judäa wohnte, mochte sie nicht. Sie zogen nämlich nicht hinauf zum Tempel nach Jerusalem. Sie hatten einen eigenen heiligen Berg für ihre religiösen Feiern. Und dazu noch spezielle Lehren und Gebräuche. Nun tat ein Geschmähter das Angemessene und Schickliche. Er dankte. Darin liegt die Botschaft der Geschichte. Und die muss in unsere Gegenwart.
Thomas hatte dazu eine abgefahrene Idee. Stellt euch mal einen Festgottesdienst vor. Volle Kirche, Posaunenchor, Gesangverein. Gutbürgerliches Publikum, gutaufgestellte Leute, überwiegend konservativ. Das Thema ist Dankbarkeit. Der Pfarrer verliest unsere Geschichte. Als er zu der besagten Stelle kommt, beginnen die Buchstaben zu tanzen. Er reibt sich die Augen. Da steht doch tatsächlich: Und der sich bedankte war ein linksgrünversiffter Lastenradfahrer. Oder gar ne Lastenradfahrerin. Das würde hübsch Ärger geben. Oder vielleicht gibt es auch einen fruchtbaren Streit. Könnte ja passieren.
Wegen der Ausgewogenheit klappte Thomas gleich nach. In einem umweltbewegten Jugendgottesdienst müsste der verlesene Satz allerdings ein anderer sein. Und das war ein protziger älterer SUV-Fahrer. Oder so ähnlich. Zu jeder Zielgruppe gibt es auch einen Trigger. Hans phantasierte dann eine Zielgruppe für den Satz: Und der sich bedankte war schwul. Ich dachte ans derzeitige Amerika und schlug einen illegalen Einwanderer aus Venezuela vor. Wir überboten uns eine ganze Weile mit spritzigen Varianten.
Irgendwann fragte Hans, was uns denn wohl am ehesten triggern würde. Das werden wir uns ein andermal ansehen, verabredeten wir. Ehrenwort.
Friedrich Fuchs ist Pfarrer im Nachbarschaftsraum Büdingen
für den Reformationstag (31. Oktober) 2025
Kirche ist ständig im Wandel. Aber immer lebendig.
Das mag in einer Zeit der vielen Reformen und Kirchenaustritte etwas verrückt klingen, aber es entspricht der Wahrheit.
Das können wir besonders gut beobachten, wenn wir uns den Verlauf der Kirche in der Geschichte anschauen:
Als kleine Bewegung im Untergrund hat sich der christliche Glaube verbreitet. Damals gab es keine Zahlen, Kirchensteuern oder feste Organisationsformen, sondern nur Menschen, die sich im Vertrauen auf die Botschaft Jesu Christi nach Veränderung gesehnt haben.
Sie wollten sich nicht mehr von der religiösen Obrigkeit vorschreiben lassen, was sie zu tun haben für einen Gott, der sich angeblich mehr um Regeln schert als alles andere.
In der Reformation haben sich wieder Menschen gefunden, die sich gegen den Status Quo aufgelehnt haben, weil sie der Meinung waren, dass die Kirche, wie sie damals bestand, nicht mehr den Werten entsprach, die sie eigentlich vertreten sollte, aber auch nicht mehr das, was die Menschen zur Zeit Martin Luthers gebrauchen konnten.
Schaut man sich diese beiden Beispiele an, lässt sich feststellen, dass Kirche immer einen Wandel durchlebt, wenn es an der Zeit ist, für die Botschaft Gottes neue Wege zu gehen.
Das war bei Jesus so. Das war bei Martin Luther so. Und das ist auch heute noch so.
Auch wenn es wirkt, als wäre die Kirche „erledigt“, würde ich behaupten, verwandelt sie sich nur in eine neue, noch unbekannte Form. Ähnlich wie eine Raupe, die zu einem Schmetterling wird.
Das ist natürlich mit viel Arbeit und Mut verbunden. Das mussten die ersten Christinnen und Christen aufbringen, das musste Martin Luther aufbringen. Und das müssen auch wir aufbringen.
Dafür können wir aber auch Vertrauen haben, dass wir als Christen immer eine lebendige und starke Gemeinschaft im Rücken haben. Denn das macht unseren Wandel aus. Wo andere im Laufe der Geschichte verschwunden sind, ist Kirche lediglich in ein neues Zeitalter aufgebrochen.
Wie Kirche in 30, 40 oder 200 Jahren aussehen wird, können wir daher nicht sagen. Nur eines können wir mit Sicherheit behaupten: Egal, wie die Welt aussehen wird, wie die Menschen leben und welche Herausforderungen sie meistern müssen:
Es wird immer eine Gemeinschaft geben, die das Evangelium in diese Welt hinaustragen wird.
Weil es auch immer einen Gott geben wird, der uns dazu den Rücken stärkt!
Leroy Pfannkuchen ist Pfarrer im Nachbarschaftsraum Evangelische Kirche in den Auen
für den 19. Oktober 2025
6.15 Uhr. Der Wecker klingelt. Sonntagmorgen. Ich drücke die Schlummertaste – einmal darf man das. Halb sieben stehe ich auf. Meine Frau schläft noch. Morgenroutine im Bad. Dann runter in die Küche. Kaffee kochen. Im Deutschlandfunk läuft Klassik – das kenne ich doch. Von wem war das noch gleich?
Während der Kaffee zieht, ein Interview mit einem Historiker. Es geht um reaktionäre Tendenzen in der französischen Geschichte. Und warum französische Präsidenten gern kleine Kaiser sind. Der Kaffee ist fertig. Ich wecke meine Frau. Heute kein Frühstück. Ich ziehe mich an für meinen Einsatz. „Bringst du mir mein Handy mit nach unten?“, ruft sie. Eine Treppe rauf, zwei runter. Bewegung tut gut. Jetzt aber los, wir müssen pünktlich sein.
Von weitem schon Musik. Volle Klänge. Angekommen. Ganz schön viele Menschen heute. Die Stimmung ist gut. Noch ein paar Absprachen, dann geht es los. Volle Konzentration. Nach einiger Zeit – oh, da steigt jemand aus. Nach der Hälfte: Verpflegung. Ich sehe Gesichter. Ernst. Konzentriert. Fröhlich. Die Uhr nähert sich der vollen Stunde. Geschafft. Nein – nicht der Gottesdienst. Ich war auf einem Wettkampf.
Viele Hundert Menschen aller Altersstufen. Gemeinsam unterwegs. Jede und jeder auf der eigenen Strecke. Mit dem Ziel vor Augen: ankommen, vielleicht mit Bestzeit.
Und ich denke: Das Leben ist auch so ein Lauf. Nicht der schnelle Start zählt, sondern die Kraft, weiterzumachen, wenn es mühsam wird. Geduld, Vertrauen, innere Ruhe – sie tragen weiter als Hektik oder Ehrgeiz.
Doch wer kennt das nicht: Die Tage gleichen einem Dauerlauf. Immer etwas zu tun, immer jemand, der etwas will. Zwischen Beruf, Familie und Ansprüchen von außen geht manchmal die Orientierung verloren. Die Zeit wird knapp, Geduld ebenso. Man läuft und läuft – und fragt sich: Wofür eigentlich? Die Hektik unserer Welt macht müde, die „letzte Viertelstunde“ scheint nie aufzuhören.
Vielleicht ist genau das der Moment, an dem sich entscheidet, wie wir weitermachen. Ob wir einfach weiterhetzen – oder uns erinnern, wofür wir losgelaufen sind. Wer nur rennt, verliert leicht den Blick fürs Ziel. Wer innehält, schöpft neue Kraft.
Wer das Ziel im Blick behält, merkt unterwegs: Hoffnung ist die stärkste Antriebskraft. Leiser, aber beständiger als alles andere.
„Lauft mit Ausdauer in dem Wettkampf, der euch aufgetragen ist.“ (Hebräer 12, 1)
Wilfried Schutt ist Pfarrer im Evangelischen Dekanat Büdinger Land. Er koordiniert das kirchliche Engagement zur Landesgartenschau Oberhessen 2027.
für den 12. Oktober 2025
Nein, ich habe sie leider noch nicht mitgesungen, die Johannes-Passion von Bach. Es ergab sich einfach kei-ne Gelegenheit. Doch ich habe sie schon oft gehört – oder Teile dar-aus. Besonders beeindruckt mich der Eingangschor: „Herr, unser Herr-scher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist!“ Der Text stammt aus Psalm 8,2. Er ist einer der heutigen Verse in den Herrnhuter Losungen.
Die Johannes-Passion ist beeindruckend. Und viele andere musikalische Werke sind dies auch. Einige wenige davon durfte ich in meinem Leben mitsingen – zum Beispiel das Weih-nachtsoratorium, das wir nun in die-sem Herbst für den Zweiten Advent wieder einstudieren.
Singen tut gut! Das Singen von eher anspruchsvollen Oratorien – aber ge-nauso das Singen von einfachen Lie-dern und Gesängen. So freue ich mich zum Beispiel heute auf den Lieder-nachmittag in der Weningser Kirche. Gemeinsam ein paar geistliche Lieder singen – unter fachkundiger Anlei-tung: Auch das ist Gottesdienst.
Singen tut gut. Und Singen ist wich-tig – auch im Leben eines Christen-menschen. Klar - nicht alle haben dafür eine Ader. Aber vielen Men-schen kann die Musik etwas geben – auch die selbst gestaltete Musik, so wie das Singen von Liedern.
Mit unseren Liedern können wir viel von dem ausdrücken, was uns so auf der Seele liegt. Wir können Gott lo-ben – wie im Eingangschor der Johan-nes-Passion. Doch wir können auch alles andere mit unseren Liedern ausdrücken: Klage, Ratlosigkeit, Bitte um Hilfe, Dankbarkeit. Es gibt so viele Lieder in unseren Gesangbü-chern und anderswo – ältere Lieder aber auch viele neue, moderne, in sehr unterschiedlichen Musikrichtun-gen. Viele Liedtexte sind direkt ein Gebet. Oder sie beschreiben unser Ergehen, das wir dann – auch im Sin-gen – zu Gott bringen, vor ihm aus-breiten dürfen.
Dabei kommt es nicht unbedingt auf Perfektion an. Klar: Für die Auffüh-rung eines Oratoriums ist es schon von Vorteil, wenn am Ende der Proben alle Chormitglieder die richtigen Töne treffen. Aber außerhalb von Konzerten, beim schlichten Singen im Gottesdienst, beim Liedernachmittag, bei der Wanderung oder im Wohnzimmer – sei es alleine oder in der Gruppe: Da ist der perfekte Ton nicht das Wichtigste, sondern vor allem: Das Kommen zu Gott in der Musik. Singen tut gut! Es kann unsere Seele näher zu Gott bringen.
Ulrich Bauersfeld ist stellvertretender Dekan und Pfarrer im Nachbarschaftsraum Evangelische Kirche zwischen Nidder und Bracht
für den 5. Oktober 2025
Wenn mich meine Mutter als Kind mit zum Einkaufen in den Supermarkt nahm, habe ich mich immer besonders auf die Wurst- und Käsetheke gefreut. Wenn die nette, rundliche Dame mich sah, schnitt sie sofort ein „Schnippelche Fleischworscht“ ab und ich hangelte mit meinen kurzen Ärmchen nach oben und schnappte das Stück und ließ es genüsslich im Mund verschwinden. Noch während ich kaute, kam ein kurzer Schubs von meiner Mutter und die Frage: „Wie sagt man?" Mit vollem Mund nuschelte ich dann artig ein „Danke“ gen Theke. So und in ähnlichen Situationen wurde uns als Kind beigebracht, sich zu bedanken, wenn man etwas bekam.
Und nun feiern wir um das erste Oktoberwochenende herum in unseren Gemeinden das Erntedankfest. Eine Zeit, in der wir uns bewusst machen, dass es nicht selbstverständlich ist, einen vollen Kühlschrank zu haben und das täglich Brot. In der zweiten Strophe vom Erntedank-Klassiker Wir pflügen und wir streuen heißt es: …… es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott. Symbolisch dafür schmücken wir die Altäre mit Obst und Gemüse, in ländlichen Gemeinden auch mit einer Erntekrone, die traditionell aus den vier Getreidesorten Roggen, Weizen, Hafer und Gerste gebunden wird. In städtischen Gebieten wird der Schmuck manchmal durch Handwerkserzeugnisse ergänzt – auch sie sind Früchte der Arbeit. Ernte bedeutet eben vieles: Nahrung und Kleidung, jedes Wachsen und Gedeihen in Partnerschaft und Familie, große und kleine Erfolge im Beruf.
Bereits aus dem Mittelalter stammt die Tradition, dass die Gaben des Erntealtars bedürftigen Mitbürgern zugute kommen: Sie werden an Obdachlosenheime oder Tafeln gespendet, so auch bei uns. Bei manchen reicht es eben nicht zum „täglich Brot“. Diese Gedanken gehören auch zum Erntedank: Wertschätzen, was man hat und an die denken, die es nicht haben.
Aber ich finde ja, es geht noch um viel mehr. Erntedank regt an, sich ganz persönlich zu fragen: Was durfte bei mir im vergangenen Jahr wachsen und reifen? Vielleicht auch ein Moment, stolz auf sich selbst zu sein.
Noch eine andere Erinnerung habe ich an das „Danke“ sagen in meiner Kindheit. Meine Tante brachte mir bei, jeden Abend vor dem ins-Bett-gehen vor dem Bett zu knien und die Hände zu falten und Gott für etwas Gutes oder Schönes an diesem Tag zu danken. Und das ist so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es auch heute noch tue. Naja, zugegeben knie ich nicht mehr, ich würde kaum noch hochkommen, aber das mit dem Danken für positive Dinge eines Tages, das mache ich nach wie vor. Und es gibt immer etwas, was schön war und wofür man einfach mal Danke sagen kann. Auch ganz ohne Erntedankfest.
Tanja Langer ist Pfarrerin im Nachbarschaftsraum Evangelische Kirchen am Limes
für den 7. September 2025
Wenn ich aus meinem Büro-Fenster schaue, sehe ich zwei Bäume. Noch sind sie überwiegend grün, aber langsam mischen sich die ersten roten Blattspitzen darunter. Bald kann ich hier wieder ein prächtiges Farbenspiel bestaunen. Wenn ich dieses Farben-Wunder sehe, denke ich: Was für ein Geschenk!
Am Ende des ersten Schöpfungsberichts in der Bibel heißt es: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (Genesis 1,31). Die bunten Blätter an den Bäumen, das Vogelgezwitscher, die reifen Äpfel – es ist sehr gut. Aber in dieses Gefühl schleicht sich für mich immer wieder auch etwas anderes: Die Welt ist nicht nur ein wunderschönes, vielfältiges Geschenk, sondern auch ein sehr zerbrechliches.
In die Freude mischt sich auch Sorge: Die vielen Schlagzeilen über die Klimakrise, Umweltverschmutzung und den Schwund vieler Tierarten machen manchmal mutlos.
Ich frage mich: Kann ich da überhaupt etwas ausrichten? Klar, ich kann häufiger zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren, Plastikverpackungen vermeiden, regionale Produkte kaufen. Die Zweifel bleiben trotzdem: Mein Beitrag wirkt so klein angesichts der Größe der Welt.
Am Ende des zweiten Schöpfungsberichts in der Bibel steht: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Gut, sich diesen Auftrag immer wieder bewusst zu machen: Wer die Schöpfung schätzt, wird automatisch sorgsamer mit ihr umgehen. Und noch etwas lese ich hier: Niemand ist allein mit dieser Aufgabe! Die Bewahrung der Erde verbindet alle Menschen.
Genau daran erinnert auch die „Ökumenische Schöpfungszeit“, die gerade viele Christinnen und Christen weltweit miteinander feiern. Bei der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung der Kirchen (katholische, evangelische und orthodoxe Christinnen und Christen nahmen daran teil), die 2007 in Herrmannstadt in Rumänien stattfand, wurde vorgeschlagen, jedes Jahr vom 1. September bis zum 4. Oktober die Schöpfung ganz bewusst in den Blick zu nehmen. Diesem Vorschlag folgen seitdem viele Menschen weltweit.
Ich finde das eine schöne Idee. In diesen Wochen will ich wieder bewusster hinschauen, was ich für unsere Erde und meine Mitgeschöpfe tun kann. Perfekt wird es nie, aber jeder Schritt zählt. Und ich will staunen: Über die bunten Blätter, Kürbisse in allen möglichen Farben und Formen, Sonnenstrahlen zwischen den Wolken und Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe klopfen.
Elisabeth Engler-Starck ist Referentin für Ökumene im Dekanat Büdinger Land
von Friedrich Fuchs
für den 31. August 2025
Moni hat jetzt einen Kunden-Stopper vor ihrem Laden. Das ist ein Ständer mit zwei Tafeln für Werbung im DIN A1–Format. Wenn ich wollte, könnte ich den auch mal sonntags für vor die Kirche bekommen. Hilft vielleicht. Monis Angebot ratterte mir sofort im Kopf. Was wäre denn ein pfiffiger Eyecatcher für Leute, die sonst nicht in die Kirche kommen? Ich habe meine Plakatsammlung durchgesehen. Sonnenblumen vor blauem Himmel mit nettem Bibelspruch. Oder Pusteblume. Weidende Schafe auf grüner Aue mit Psalm 23. Fußabdrücke in Erde mit Spuren im Sand. Wolkendurchbrechender Mond mit Dietrich Bonhoeffers guten Mächten. Ach ja und oh weh. Die gern genommenen Motive sind im Lauf der Jahre ein bisschen sehr in die Jahre geraten. Zuviel des Guten. Sozusagen.
Gute Werbung zeigt Schätze, sagte Hans. Das habe er einmal in einem Handbuch für Marketing gelesen. Dann schlug er vor: Ein Riesenfoto von unserer Kirchentür, links vier Rollatoren, rechts drei Fahrräder, denen anzusehen ist, dass sie Konfirmanden gehören. Zwei Worte Text: Komm rein! Meint er das ernst oder ironisch? fragte ich mich. Bei Hans bin ich nie sicher. Er erklärte: Die Alten und die Halbjungen sind die Schätze der Kirche. Die zeigst du. Es gibt natürlich noch ein paar dazwischen. Aber jetzt mal grob gesehen. Ich hielt dagegen: So ein Bild zischt doch nicht. Wen soll das denn ansprechen?! Hans ließ sich aber nicht abbringen. Es zischt andersrum! Wo jetzt so viele immerzu kreativ und spritzig sein wollen, ist unspritzig der neue Spritz. Wer Augen und Ohren dafür hat, den erreicht das auch. Ihr werdet es noch erleben.
Thomas wusste dazu eine starke Geschichte, die ich nachher gleich gegoogelt habe. Im dritten Jahrhundert waren die Christen in Rom noch nicht genehmigt. Der Kaiser ließ sie verfolgen. Der Bischof wurde enthauptet, der Kämmerer namens Laurentius gepeitscht. Ihm wurde befohlen, er solle binnen drei Tagen das Gemeindevermögen der weltlichen Obrigkeit abliefern. Laurentius gehorchte nicht. Er verteilte allen Kirchenbesitz unter die Mitglieder der Gemeinde. Zum festgesetzten Termin erschien er mit Bedürftigen, Armen, Kranken, Witwen und Waisen. Die seien der wahre Kirchenschatz, erklärte er. Daraufhin wurde er zum Tod durch Grillen verurteilt. Sein Erkennungszeichen in der Kirchenkunst ist deshalb ein Grillrost, den er in der Hand hält. Diese besondere Karriere ist heute nicht mehr so bekannt.
Und jetzt? Unser Gespräch drehte sich noch eine Weile um die Frage, worin der Schatz der Kirche bestehe. Ich dachte dabei eher nicht an Menschen. Beinahe hätte ich gesagt: Der Schatz der Kirche ist die Botschaft, die Gott ihr anvertraut hat. Das kam mir aber zu dogmatisch vor. Deshalb sagte ich: Der Schatz ist, dass Gott uns Menschen liebt; sonst sähe es in Sachen Liebe ziemlich trübe aus. Thomas schaute zu Hans hin und meinte: Also ein großes Plakat mit der Aufschrift: Gott liebt die Menschen! Das ist doch wirklich hübsch unspritzig! Er glaube allerdings nicht, dass dadurch mehr Leute im Gottesdienst sein werden. Es wurde ein wenig eng.
Moni riet zur Entspannung. Ein Stopper vor der Kirche müsse doch nicht in erster Linie hineinlocken. Er zeige eben, was von drinnen nach draußen geht. Oder gehen sollte.
Friedrich Fuchs ist Pfarrer der Kirchengemeinden Aulendiebach, Rohrbach und Wolf
für den 17. August 2025
Morgens brauche ich meinen immer gleichen Rhythmus: Kater füttern, mit dem Hund vor die Tür gehen, Hund füttern, erste Tasse Kaffee. Dann Zeitung, Nachrichten auf dem Handy und Tageslosung lesen. Und vor der zweiten Tasse Kaffee spricht mich besser niemand an.
Auch sonst habe ich gerne meine Ordnung: Meine Vorräte sind in einheitlichen Schraubgläsern verstaut, mein Schreibtisch ist voll, aber sortiert.
Am Anfang der Bibel wird erzählt, wie Gott die Welt geschaffen hat. Als erstes hat er Ordnung ins Chaos gebracht und aufgeräumt. Tag für Tag, Stück für Stück hat er Neues ins Leben gerufen und sortiert: Licht, Tag und Nacht, Erde und Meere, alles Lebendige „nach seiner Art“ (1 Mose 1,1). Und es war gut.
Mir tun mein Rhythmus und meine Ordnungsliebe gut. Die Welt um mich herum ist chaotisch genug. Weltweit verändern Dinge sich immer schneller. Da sehne ich mich nach Sicherheit, Ruhe und Frieden.
„Ordnung ist das halbe Leben“, sagt man. Aber da ist ja noch die andere Hälfte! In meinem Garten darf es an vielen Stellen wild und bunt wachsen. Wiese statt englischer Rasen, der Salat im Hochbeet darf auch blühen. Der Totholzhaufen ist sehr lebendig. Und auch im Haus darf sich die Bügelwäsche türmen und Hundespielzeug herumliegen.
In meinem Leben muss es auch nicht so ordentlich zugehen. Manchmal wäre ich gerne spontaner, verrückter, an vielen Stellen mutiger.
Gut, dass Gott am Anfang nicht bei strenger Ordnung stehengeblieben ist. „Gottes Geist wehte über dem Wasser“ (1. Mose 1,2). Das ist mehr als ein poetisches Bild. Gottes Geist ist seine lebendige, schöpferische Kraft. Er bringt Bewegung, wo Starre herrscht. Er bringt Leben, wo Leere ist. Ohne diesen Geist wäre die Schöpfung nie ins Rollen gekommen – sie wäre eine geordnete, aber leere Bühne geblieben.
Derselbe Geist wehte an Pfingsten durch Jerusalem. Er machte aus verängstigten Jüngern mutige Boten und Botinnen. Er schenkte ihnen Worte, die Herzen trafen, und eine Freude, die Grenzen sprengte.
Und dieser Geist wirkt auch heute noch. Er unterbricht meine Routinen, gibt mir neue Gedanken ein, schenkt mir Kraft, die ich nicht aus mir selbst habe. Er lädt mich ein, über den Tellerrand meiner Ordnungsliebe hinauszugehen. So lebe und glaube ich zwischen meiner Liebe zur Ordnung und meiner Sehnsucht nach Sicherheit auf der einen Seite und Freude an Überraschungen und kreativem Chaos auf der anderen Seite.
Mal schauen, was die nächste Woche bringen wird!
Kerstin Hillgärtner ist Pfarrerin im Nachbarschaftsraum Evangelische Kirche zwischen Nidder und Bracht